2020 fangen Studentinnen früh an, an ihrer Karriere zu arbeiten

Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk | Anästhesistin, Gastprofessorin an der Charité Berlin

Artikel
30.05.2011
Die Studentinnen im Jahre 2020 sind selbstbewusst und politisch engagiert. Sie genießen ihr herausforderndes Studium, studieren in kleinen Gruppen interprofessionell, problemorientiert und praxisnah. Sie haben konkrete Vorstellung von ihrer Familienplanung, die nicht auf „später“ verschoben wird und teilen sich die Familienarbeit 1:1 mit ihrem Partner. Die Studentinnen im Jahr 2020 fangen früh an, an ihrer Karriere zu arbeiten, bilden Netzwerke, interessieren sich für weibliche Vorbilder und wissen, wo sie 2025 und später stehen wollen.

So wie es ist, kann es nicht bleiben! Aber hat es nicht schon genug Reformen und Reförmchen des Medizinstudiums gegeben? Weiß man nicht inzwischen, dass die Vorklinik etwas mit der Klinik zu tun hat, sind die Berührungsängste Vergangenheit? Es sei erlaubt, von der Vision „Medizinstudium 2020“ zu träumen. Es ist ja nicht so, dass das Studium zur Zeit nicht attraktiv und begehrt wäre, es gibt – trotz nachweisbaren Ärztemangels – immer noch den Numerus Clausus und fast jede Abiturientin, die mit „sehr gut“ die Schule abschließt und nicht Medizin studiert, wird für unklug erklärt. Da aber die Einkommen sinken werden, und demzufolge immer mehr Frauen im Studium zu finden sein werden – zur Zeit sind es bereits mehr als 60 Prozent, ist es geraten, weibliche Kompetenzen, die neben den Fachkenntnissen unerlässlich für diesen Beruf sind, aufzuwerten und abzufragen, wie zum Beispiel Sozialkompetenz, Teamfähigkeit, Bekenntnis zu Fehlerkultur. Die Studentinnen im Jahre 2020 sind selbstbewusst und politisch engagiert. Sie sind als studentische Vertreterinnen in die Gremien ihrer Fakultät präsent und mischen sich ein. Sie sind sich bewusst, dass die Existenzberechtigung einer Universitätsklinik in erster Linie der Ausbildung fähiger Ärztinnen und Ärzte dient - und dafür gibt es den Landeszuschuss vom Staat. Die Studentinnen im Jahre 2020 haben während des Studiums den „Seitenwechsel“ gelernt, d.h. sie haben schlechte Nachrichten als Pseudopatientin empfangen und – das ist dann neu – sich einmal under cover in ein Krankenhaus der Regelversorgung aufnehmen lassen – sie kennen also auch die andere Seite.

Die Studentinnen im Jahre 2020 genießen ihr herausforderndes Studium, studieren in kleinen Gruppen interprofessionell, problemorientiert und praxisnah - wie schon jahrelang in Nachbarländern selbstverständlich. Sie sind auf Stationen und in Polikliniken gerne gesehen, wo das medizinische Personal ihnen die klinische Kompetenz des Alltags vermittelt. Sie kennen ihre Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen, die zum Teil ihre Mentoren sind und finden es selbstverständlich, dass auch Lehrstuhlinhaber persönlich lehren - wie alle nach Absolvierung eines hochschuldidaktischen Seminars mit Medienkompetenz und Abschlussprüfung. Sie schätzen ihren hauptamtlichen und anständig bezahlten Prodekan oder Prodekanin für Lehre - engagierte Leute, die auch noch von Jüngeren lernen können und keine eigenen klinischen Verpflichtungen haben. Nach Abschluss ihres Studiums sind sie Mitglieder im Alumni-Club und nehmen am Geschick ihrer Universität weiter regen Anteil. Die Studentinnen des Jahres 2020 kennen die Habilitation nur noch vom Hörensagen, weil in diesem Verfahren jemand für Lehre offiziell qualifiziert wurde, der schon jahrelang unkontrolliert gelehrt hat. Einige wollen später in die Forschung gehen und streben eine qualifizierte Promotion an, die weiterführenden Charakter hat und nicht in den Archiven der Universitätsbibliotheken begraben wird. Einige haben ihr Herz für Public and Global Health entdeckt und werden in andere Länder gehen - kommen sie zurück? Die Studentinnen im Jahre 2020 haben konkrete Vorstellung von ihrer Familienplanung, die nicht auf „später“ verschoben wird, und erst im fortgeschrittenen Alter durch IVF erfolgreich ist. Sie finden es selbstverständlich, dass auf ihre Schwangerschaft - sie sind als Studentin und PJlerin im besten Alter dafür - bei Terminplanungen für praktisches Jahr, Prüfungen, etc. Rücksicht genommen wird, weil fast alles geht, wenn man es will. Sie wissen, dass es selbstverständlich ist, dass auf der angestrebten Position flexible Arbeitszeiten mit individuellem Zuschnitt und gute Kinderbetreuung angeboten werden und teilen sich die Familienarbeit 1:1 mit ihrem Partner. Die Studentinnen im Jahr 2020 fangen früh an, an ihrer Karriere zu arbeiten, bilden Netzwerke und interessieren sich für weibliche Vorbilder und wissen, wo sie 2025 und später stehen wollen: „mal sehen, was sich so anbietet“ ist out.
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