Prof. Dr. med. Beate Müller
Foto: Michael Wodak, Uniklinik Köln

„Die Familienkonstellation ist ein entscheidender Faktor für eine
akademische Karriere als Frau“

Im Interview

Sie sind 37 Jahre alt und haben 2 Kinder. Seit April 2022 haben Sie eine neu geschaffene W3-Professur für Allgemeinmedizin inne. Zuvor haben Sie neben Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in einer hausärztlichen Praxis gearbeitet. Sie haben sicher Tipps für junge Ärztinnen, die ihre Kar­riere planen?

Natürlich kann und soll man seine Karriere planen. Man muss aber auch einkalkulieren, dass niemals alles so funktio­niert, wie man es sich vorstellt. Meiner Erfahrung nach hat es wenig Sinn, sich zu sehr auf bestimmte Abläufe zu versteifen. Es ist immer gut, einen Plan B zu haben und ebenso, auf Chancen oder Pro-
bleme flexibel zu reagieren. Viele junge Frauen, die Medizin studieren, sind sehr leistungsorientiert. Sie wollen im- mer alles richtig machen. Aber es gibt in Bezug auf die berufliche Entwicklung kein allgemeingültiges Richtig. Das Studium und der Beruf sollen einem Freude machen, das darf man nicht vergessen. Die Corona-Pandemie hat es den Studierenden leider in den letzten Jahren schwer gemacht, den Spaß in der Ausbildung zu erleben. Ich hoffe, das ändert sich wieder.

Haben Sie ein Bespiel für die Flexibilität, die Sie eben angesprochen haben?

Beispielsweise nehmen viele Medizinstudentinnen an, dass sie unbedingt promovieren müssten, um beruflich erfolgreich werden zu können. Informieren sie sich genauer, finden sie her­aus, dass eine Doktorarbeit dazu gar nicht immer zwingend nötig ist. Gerade in der Allgemeinmedizin kann man sich auch ohne Promotion gut niederlassen. Die Wünsche und Ziele junger Ärztinnen sind individuell verschieden. Wenn man herausfindet, was einem persönlich wichtig ist, kann man sich als nächstes darum kümmern, was man dafür tun muss.

Wie kommt man an die Informationen, um sich und sein Studium schon sehr früh so differenziert einschätzen zu können?

Mir hat es sehr geholfen, mich mit meiner Mentorin auszu­tauschen: mit einer Frau, die bereits einen Lehrstuhl für All­gemeinmedizin innehatte. Ich habe mir ein Vorbild gesucht und meine Mentorin dann gezielt angesprochen. Ich hatte ihre Arbeit schon eine Weile verfolgt, als ich einen Beitrag von ihr in der ärztin las. So ergab sich ein Anknüpfungspunkt.

Wie schätzen Sie die Chancen für eine wissenschaftliche Karriere für Ärztinnen derzeit ein?

Momentan wechseln viele Professoren in den Ruhestand. Die Chancen auf einen Lehrstuhl sind darum gerade sehr gut. Sich als Frau zu bewerben ist – nach meiner Erfahrung – dabei kein Nachteil mehr, aber es ist auch kein Vorteil. Obwohl die Förderung darauf abzielt, den Anteil von Frauen auf Lehrstühlen zu erhöhen, ist das Geschlecht im Auswahlverfahren nicht entscheidend. Ein relevantes Pro­blem für Frauen beginnt auch schon viel früher: bei der Frage, ob man sich als Frau überhaupt bewirbt.

Wo liegt dabei das Problem?

Es geht darum, den Pool der potenziellen Kandidatinnen zu erschließen. Zwar wird inzwischen deutlich mehr als früher dafür getan, Frauen in die Bewerbungsverfahren für die akademische Laufbahn zu holen. Ein Selbstläufer ist es aber nicht. Ich selbst hätte mich fast nicht auf die Stelle hier in Köln beworben, weil zum Zeitpunkt der Ausschreibung mein Habilitationsverfahren noch nicht eröffnet war. Ich habe mich dann beraten lassen und erfahren: Das ist gar nicht nötig.

Was ist Ihr Ratschlag für junge Ärztinnen, die eine akade­mische Karriere anstreben?

Rechtzeitig Kontakte knüpfen und sich in dem Bereich vernetzen, den man sich ausgesucht hat. Beispielsweise berät einen der Deutsche Hochschulverband. Entscheidend ist es aber, die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf zu erreichen.

Wie kann das gelingen?

Die Frage, die es zu beantworten gilt, lautet: Will man es zusammen als Familie erreichen, dass die Frau Professorin wird? Heißt die Antwort Ja, hat das Auswirkungen beispielsweise auf die Aufgabenverteilung in der Familie. Eine Professur ist in aller Regel kein Teilzeitjob. Manche Aspekte lassen sich inzwischen ein wenig flexibler als früher mit einem gewissen Anteil an Home­office abdecken. Aber es ist notwendig, dass man sich in der Familie abstimmt und alle an einem Strang ziehen.

Wie sieht es bei anderen Führungspositionen aus, etwa den oberärztlichen Stellen an Universitätskliniken?

An Unikliniken ist Teilzeit leider noch nicht wirklich etabliert. Ansonsten kann ich nur von dem Institut berichten, das ich gerade aufbaue: Ich biete alle meine Stellen mit Teilzeitop­tion an. Meine oberärztliche Stelle teilen sich aktuell eine Frau und ein Mann. Ich denke, um die Möglichkeiten der Vereinbarkeit zu verbessern, lässt sich auch darüber hinaus oft noch einiges tun. Etwa indem man Besprechungen kurz hält oder Meetings generell nicht auf die Nachmittage oder Abende
legt. Bei uns ist außerdem viel im Homeoffice möglich, allerdings führt Homeoffice oft dazu, dass sich die Mitarbeitenden noch stärker zeitlich vereinnahmen lassen. Ich empfehle meinem Team, die Arbeitszeit aufzuschreiben.

Sie verfügen auch über Einblicke in den Bereich der nieder­gelassenen Allgemeinmediziner:innen. Wie bewerten Sie dort die Aussichten?

Die Möglichkeiten der Niederlassung sind flexibel wie nie. Neben einer Alleinniederlassung kann man sich zum Beispiel seine Praxis auch teilen. Für die Generation der Ärzt:innen, die jetzt in den Ruhestand gehen, war eine 60- bis 70-Stunden-Woche der Normalzustand. Das muss heute nicht mehr so sein. Wichtig ist zu entscheiden, ob man Chefin sein möchte. Wenn nicht, kommt vielleicht die Leitung einer Zweigniederlassung einer Praxis oder eine Anstellung in Frage. Es gibt heute viele Modelle und die Kassenärztlichen Vereinigungen beraten in der Regel sehr gut dazu. Ich persönlich finde, die ländlichen Regionen werden unterschätzt. Dabei findet man dort als Familie oft gute Möglichkeiten für die Kinderbetreuung, bezahlbaren Wohnraum, viel Natur und auch die Hilfs­bereitschaft unter Nachbarn ist ein Plus.

Interview: Alexandra von Knobloch

Prof. Dr. med. Beate Müller hat die neu eingerichtete W3-Professur für Allgemeinmedizin an der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät inne. Zuvor arbeitete sie ab 2015 am Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt am Main. 2020 absolvierte sie ihre Facharztprüfung und arbeitete neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in einer hausärzt­lichen Praxis in Offenbach.

E-Mail: beate.mueller@uk-koeln.de
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