Im Interview: „Der Gender-Sprachdiskurs braucht eine neue Qualität“

Verändert Sprache unsere Vorstellung von Berufen, etwa vom ärztlichen? Beeinflusst sie sogar die Berufswahl?

Ja, das kann man so sagen. Jeder sollte seine Kommunikation durchdenken und überlegen, ob und wann man gendergerechte Sprache wichtig findet. Denn Menschen sind fixiert auf Menschen. Daher macht die Art, wie wir über Personen sprechen, etwas mit uns.

Sind solche Effekte durch Studien belegt?

Es gibt zahlreiche Studien; darunter psycholinguistische Untersuchungen mit Schulkindern. Darin wurden ihnen Berufe mit hohem Status vorgestellt wie Pilot. In der einen Gruppe wurde nur die männliche Form benutzt. In der anderen erhielten die Kinder Informationen, in denen Männer und Frauen vorkamen – etwa Pilot und Pilotin. Im Anschluss wurden die Kinder gefragt, ob sie sich zutrauten, den Beruf zu ergreifen. War bei der Vorstellung nur die maskuline Form genutzt worden, waren die Kinder für sich selbst weniger zuversichtlich. Das galt sowohl für Mädchen als auch für Jungen.

Das heißt doch auch, dass Kinder einen männlich konnotierten Beruf für schwieriger halten? Sie haben Vorurteile im Kopf.

Eine klare Zuschreibung von Genderrollen existiert natürlich. Und sie wird ja auch von der Realität teilweise bestätigt. Professoren sind momentan zu 80 Prozent Männer. Ich finde, es wird Zeit, an den Vorstellungen etwas zu ändern.

Welche Rolle kann Sprache spielen, um Stereotype aufzu­brechen?

Man sollte die Sprache nie gegen andere Maßnahmen aus­spielen und die Frage der gendergerechten Sprache auch nicht so diskutieren, als ginge es darum, von oben herab etwas anzuordnen. Es hängt vom Kontext ab, wann es wichtig ist, sich für eine gendergerechte Darstellung zu entscheiden. In einer amtlichen Kommunikation sollte die Wortwahl deutlich machen, dass in einem Beruf oder einer bestimmten Position Frauen vorhanden sein können und auch sollten. Auch für Firmen ist das von Belang. Dagegen kann es im privaten Gespräch in Ordnung sein, ausschließlich von Ärzten zu sprechen statt von Ärztinnen und Ärzten. Sprache sollte immer sachlich angemessen sein, an den Rezipienten orientiert und verständlich.

Kritiker behaupten: Durch Sprache solle eine Änderung der Gesellschaft erzwungen werden. Was entgegnen Sie?

Das ist Unsinn. Unsere Gesellschaft hat sich schon verändert und unser Sprachgebrauch versucht das nachträglich abzu­bilden.

Es gibt allerdings noch Verfechter der Meinung, das generische Maskulinum schließe Frauen ein.

Studien belegen eindeutig, dass es nicht so ist. Ein maskuliner Artikel ist in der Wahrnehmung keineswegs neutral. Ich würde mir wünschen, dass wir an der Qualität des Gender-Sprach­diskurses feilen und nicht immer wieder Diskussionen in Be­reichen austragen, die bereits geklärt sind. Wichtig ist: Wie reden wir in bestimmten Kontexten? Welche Genderrollen unterstellen wir?

Spielt es eine Rolle, wie man gendert, ob mit Sternchen oder Doppelpunkt?

Das ist in Deutschland noch ein Experimentierfeld. Es gibt bisher kaum Untersuchungen dazu. In vielen Lehrbüchern, etwa in der Psychotherapie, hat es sich durchgesetzt, abwechselnd die weibliche und die männliche Form zu verwenden. Das kommt aus dem Englischen und signalisiert: Wir wollen uns nicht auf ein Geschlecht festlegen. Bei gendergerechter Sprache geht es stets darum, ein Bewusstsein auszudrücken.

Interview: Alexandra von Knobloch


Prof. Dr. phil. Gabriele Diewald ist Professorin für Germanistische Linguistik am Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Universität Hannover. Die Sprachwissenschaftlerin beschäftigt sich besonders mit geschlechtergerechter Sprache, hat dazu mehrere Duden-Bücher geschrieben und forscht derzeit über konnotativ erzeugte Genderstereotype in digitalen Medien

E-Mail: gabriele.diewald@germanistik.uni-hannover.de
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