Foto: Jochen Rolfes

Arbeitszeiten für Ärztinnen und Ärzte neu denken

Überstunden gehören in der Gesundheitsversorgung in Deutschland angeblich zur Normalität, erschweren aber die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf und sind vermutlich ein entscheidender Grund für den bestehenden Nachwuchsmangel.

Gehörte es früher zum guten Ton, 24 Stunden am Stück – und manchmal noch länger – zu arbeiten, werden die Arbeitszeiten von Ärztinnen und Ärzten nun durch das Arbeitszeitgesetz weitgehend begrenzt. Ausnahmen sind möglich, sonst wür-den die Kolleginnen und Kollegen nicht sowohl im MB-Monitor von 2022 als auch im KBV-Monitor (2018) Arbeits­zeiten von durchschnittlich 50 Stunden und mehr pro Woche angeben. Unterschiede bestehen zwischen dem angestellten und dem selbstständigen Bereich, weil Selbstständige ebenso wie chefärztliche Kolleginnen und Kollegen dem Arbeitszeitgesetz nicht unterliegen.

Teilzeit auch für Männer attraktiv

Tatsächlich ist es in der Ärzteschaft nicht anders als in der deutschen Gesamtgesellschaft: Meistens sehen sich die Mütter für die Kinder und Care-Arbeit zuständig. Die Statistik der Bundes­ärztekammer vom 31.12. 2021 belegt: Nur 2,6 Prozent derjenigen, die sich in Elternzeit befinden, sind Männer.

Doch es gibt einen bemerkenswerten Trend: Auch Männer finden die Klinik-Arbeit unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr erstrebenswert und setzen häufiger auf mehr Freizeit statt mehr Geld. Laut MB-Monitor 2022 ist die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ein Grund, darüber nachzudenken, den Beruf zu wechseln. Wer das tut, wählt als ersten Schritt oft Teilzeit. Hierbei ist eine Reduktion von wenigen Stunden bis hin zur Drittelstelle auch in der Weiterbildung möglich. Problematisch ist, dass in der Weiterbildung mit jeder Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit das Risiko wächst, die Facharztqualifikation nach hinten verschieben zu müssen. Die Übernahme von Führungspositionen in Krankenhäusern oder die Übernahme einer Praxis rückt damit weiter weg.

Weiterbildungsordnung reformieren


Notwendig wäre daher eine konsequen­te Weiterentwicklung der Weiterbildungs­ordnungen hin zu mehr Berücksichtigung der Qualifikationen statt starrer Zeiten; so wie es die Musterweiterbildungsordnung auch ermöglicht. Es ist nicht einzusehen, warum Zeiten, in denen sehr viel gelernt werden kann und in denen Entscheidungen getroffen werden – nämlich Nacht- und Wochenenddienste – nicht mit eingerechnet werden. Weiterbildung muss da möglich sein, denn es geht in diesen Zeiten um die Betreuung von Patient:innen, abseits der Routine der Fächer. Auch die bereits reale Reduktion der offiziellen wöchentlichen Arbeitszeit zugunsten einer ausgeglichenen Work-Life-Balance muss einbezogen werden in die Überlegungen, die Weiterbildungsordnungen zu modernisieren. Nur so schaffen wir es, trotz der veränderten Haltung ausreichend Fachärztinnen und -ärzte zu bekommen und den ärztlichen Beruf wieder attrak­tiver zu gestalten.

Wieder Berufung statt Beruf

Krankenhausverwaltungen müssen mit der ärztlichen Arbeit wieder wertschätzender umgehen. Aber auch die Gesellschaft sollte ihre Erwartungshaltung an die ärztliche Versorgung überprüfen. Wenn Ärztinnen und Ärzte sowohl in der Praxis als auch in der Angestelltentätigkeit eine normale Arbeitszeit haben von 40 oder gar 38 Stunden in der Woche, dann ist Vereinbarkeit von Privat­leben und Beruf möglich und der Exodus aus dem ärztlichen Beruf dürfte auf­hören und die Berufung wieder mehr in den Vordergrund treten.

Dr. med. Christiane Groß, M.A., ist Präsidentin des DÄB

E-Mail: christiane.gross@aerztinnenbund.de

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