Foto: Michael Wodak, Uniklinik Köln

„Das Ziel sind Konzepte für Hausärzt:innen, damit sie ihren Beitrag in der Klimakrise leisten können“

Seit April 2022 leiten Sie das neugegründete Institut für Allgemeinmedizin an der Uniklinik Köln. Ihr Fokus liegt auf der Rolle der Hausarztpraxis im Klimawandel. Warum?

Schon allein wegen der häufigeren Hitzewellen ist das Thema für die Patient:innen und die Hausärzt:innen wichtig. Wir müssen uns darauf einstellen, was extrem heiße Tage zum Beispiel für die Medikamenteneinnahme bedeuten – und das in die Behandlung einbeziehen. Darüber hinaus bietet die Hausarztpraxis auch ein paar Hebel, um einen Beitrag gegen eine weitere Erderwärmung zu leisten. Insgesamt ist der Gesundheitssektor für rund fünf Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Hausarztpraxen sollten hier eine Vorbildfunktion wahrnehmen, weil sie viele Menschen erreichen.

Können solche ärztlichen Bemühungen etwas ändern?

Natürlich haben politische Entscheidungen einen viel größeren Einfluss. Aber wir brauchen beides: politische und persönliche Maßnahmen. In der Hausarztpraxis liegt ein Ansatzpunkt beispielsweise bei der Versorgung von Menschen mit Lun­generkrankungen. Ein Trockenpulver-Inhalator ist sehr viel klimafreundlicher als ein Dosier-Aerosol. Letzteres verursacht wegen der extrem klimaschädlichen Treibmittel einen sehr viel höheren CO2-Fußabdruck als ein Pulverinhalator. Wir könnten 80 bis 90 Prozent der Patient:innen, die ein solches Spray benutzen, völlig problemfrei umstellen. Wir müssen sie dafür über den Wechsel aufklären und in der richtigen Handhabung schulen.

Wie wollen Sie das Klimathema in Ihrem Institut an der Uni und der Uniklinik verankern?

Ab dem Wintersemester soll das Thema Klimawandel in jeder allgemeinmedizinischen Lehrveranstaltung vorkommen. Die Studierenden erhalten dann unter anderem solche Informationen wie das eben genannte Beispiel mit den Asthmasprays. Außerdem arbeiten wir neue Forschungsprojekte aus. Auf der Agenda stehen zum Beispiel Schulungen, bei denen Patient:innen lernen, den Rat zu ausreichend Bewegung und ausgewogener Ernährung, den sie ja sehr häufig erhalten, nicht nur umzusetzen, sondern ihn klimafreundlich zu realisieren. Dabei möchten wir unter anderem die gesundheitlichen Benefits von klimafreundlichem Verhalten näher betrachten. Auch Hitzeschutzpläne in der Hausarztpraxis und die klimafreundliche Gestaltung der Praxis werden Forschungsthemen. Das Ziel ist es, praxisnahe Konzepte zu entwickeln, die für andere Praxen als Blaupause dienen können.

Gibt es schon viel, auf dem Sie aufbauen können?

Zur Medikation bestehen bereits viele Erkenntnisse. Etwa dass Insulin an heißen Tagen schneller wirken kann als an kalten. Oder dass Menschen, die Beta-Blocker nehmen, ein höheres Risiko für einen Hitzschlag haben, weil diese Mittel die Gefäße eng stellen, wodurch Wärme langsamer abtransportiert wird. Und ACE-Hemmer, genauso verbreitete Medikamente, verringern das Durstgefühl. In unserer Hochschulambulanz, die wir gerade an der Uniklinik einrichten, möchten wir nun eine Me­dikationsberatung für Hitze etablieren. Wir arbeiten zum Beispiel daran, per Videogespräch die Patient:innen direkt zu Hause zu beraten, was sie tun sollen, wenn es 30 Grad oder mehr sind. Wir zielen mit solchen Projekten nicht nur auf die Patient:innen, sondern auch auf Ärzt:innen. Wie lassen sie sich für das Thema Klimawandel, gerade im unterfinanzierten und darum zu wenig beachteten Präventionsbereich, sensi­bilisieren?

Wie sieht Ihre Hochschulambulanz aus? Lässt sich die Klima- freundlichkeit sofort erkennen?

Vorweg: Sie ist noch nicht eröffnet. Und es ist keine Praxis mit normaler Kassenzulassung. Unsere Ambulanz wird ein Real­labor, über das wir Forschungsergebnisse generieren und Allgemeinmedizin lehren können. Und ja: Das Bemühen um Klimafreundlichkeit ist unserer Praxis anzusehen.

Wie genau?


Unsere Ambulanz war früher eine zahnärztliche Praxis. Ich habe mich bei der Sanierung für einen klimaschonenden Linoleum-Boden entschieden und die Räume mit gebrauchten Möbeln ausgestattet, die wir aus dem Lager der Uniklinik haben. Lieber alt und klimaschonend statt schick, aber ressourcenverbrauchend – das ist ein neuer Denkansatz an der Uniklinik Köln. Viele Ärzt:innen fürchten ja, dass Patient:innen das Vertrauen in sie mit dem Erscheinungsbild der Praxis in Verbindung bringen. Nach dem Motto: Eine Ärztin oder ein Arzt, der Möbel mit Macken hat, kann nicht wirklich gut sein. Um dem entgegenzuwirken, planen wir Schilder anzubringen, die ökologische Zusammenhänge erklären. Außerdem versuchen wir Papier und Plastik in der Ambulanz so
weit wie möglich zu reduzieren.

Wie weit geht Ihr Konzept für Klimafreundlichkeit?


Wir sehen es auch als unsere Aufgabe, Ärzt:innen Möglichkeiten aufzuzeigen, um das Thema Klimafreundlichkeit auch auf Mitarbeitende auszuweiten, etwa indem man Dienstfahrräder anbietet oder ein E-Bike-Leasing. Auch die ärztlichen Versorgungswerke wollen wir auf das Thema aufmerksam machen. Sie können durch die Finanzströme viele Veränderungen anstoßen. Mir persönlich ist auch der Bürger:innen-Dialog wichtig. Mit der Stadt Köln existieren bereits gute Ansätze.

Interview: Alexandra von Knobloch


Prof. Dr. med. Beate Müller (37) hat die neu eingerichtete W3-Professur für Allgemeinmedizin an der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät inne. Zuvor arbeitete sie ab 2015 am Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt am Main, wo sie Anfang 2017 die Leitung des Arbeitsbereichs Patientensicherheit übernahm. Fehlermanagement und Digitalisierung waren weitere Schwerpunktthemen. 2020 absolvierte sie ihre Facharztprüfung und arbeitete neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in einer hausärztlichen Praxis in Offenbach. Schon in Frankfurt beschäftigte sie sich in einer Arbeitsge­meinschaft mit dem Klimawandel im ärztlichen Kontext. Außerdem engagiert sie sich dazu in der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM).

E-Mail: beate.mueller@uk-koeln.de
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