Das erste Führungstrio in einer Klinik

Drei Chefärztinnen leiten gemeinsam die gynäkologische Abteilung der Asklepios Klinik Wandsbek in Hamburg. Sie stehen auch für einen neuen Führungsansatz in der Medizin in Deutschland: Setareh Huschi, Dr. med. Anna Jacob und Dr. med. Simone Klüber.

Drei Chefärztinnen in der Gynäkologie, eine gemeinsame Verantwortung: (v. l.) Dr. med. Anna Jacob, Setareh Huschi, Dr. med. Simone Klüber
Foto: © Asklepios Kliniken GmbH & Co. KGaA
Setareh Huschi erzählt mit Begeisterung: „Ich bin so froh, dass unsere Idee aufgegangen ist und es funktioniert. Viele Menschen fragen uns inzwischen an und möchten, dass wir
von unserem Arbeitsmodell berichten. Anscheinend suchen Menschen alternative Ideen, wollen Frauen in Leitungspositionen und Frauen wollen sich gegenseitig unter­stützen.“ Die Geschichte des Chefärztinnen-Trios ist so einzigartig wie ihr Führungsmodell.

Die drei Gynäkologinnen kennen sich seit vielen Jahren, obwohl sie unterschiedlich alt sind. Zusammen verfügen sie über 55 Jahre Berufserfahrung und bevor sie ihre neue Position antraten, hatten sie bereits einige Jahre als Kolleginnen in einer Klinik zusammen gearbeitet. Und: Als leitende Oberärztinnen kannten sie die Abläufe des Klinikalltags, die Belastung und wussten, was es bedeutet, alleine Verantwortung zu übernehmen. Keine der drei, berichtet Setareh Huschi, hätte sich vorstellen können, sich einzeln auf eine Stelle als Chef-
ärztin zu bewerben. „Neben der klinischen Tätigkeit ist ein enormer Aufwand für außerklinische Tätigkeiten nötig, für die einen das Medizinstudium nicht ausbildet“, sagt Huschi. „Wir kennen Chefs, die aufgrund der administrativen Arbeit kaum mehr klinisch tätig sein konnten.“

Mehr Team, mehr Erfolg

Als sie erfuhren, dass in einem Krankenhaus eine gynäkologische Abteilung geschlossen werden musste, entstand die Idee der gemeinsamen Klinikleitung. „Wir haben zu dritt ein Konzept entwickelt; eines, von dem wir glaubten, dass damit eine gynäkologische Abteilung viel besser laufen wird als mit nur einer Person an der Spitze. Damit haben wir uns initiativ bei der Geschäftsleitung des Asklepios Konzerns beworben. Wir haben die Vorteile unserer Ideen aufgezeigt und konnten die Geschäftsführung überzeugen.“

Die Leitfragen für ihr Drei-Frauen-Topsharing: Was braucht es, damit eine gynäkologische Abteilung wirtschaftlich gut aufgestellt ist? Was müssen wir anbieten, damit die Patientinnen zu uns kommen? Ihre Antworten: Der enge Kontakt zu den Patientinnen steht im Fokus, etwa die ständige Erreichbarkeit auch für die Assistenten, die persönliche Nachbetreuung für von ihnen Operierte auf den Stationen sowie verlässliche Sprechstunden und der enge Kontakt zu niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen bei Behandlungen. „Die kennen unsere Qualifikationen und empfehlen uns weiter“, sagt Huschi.

Getrennt und doch zusammen

Neben der medizinischen Versorgung im engeren Sinn müssen viele weitere Bereiche organisiert werden, darunter Verwaltungsabläufe, Hygiene, Arzneimittel, OP, Instrumente, Kommissionen. „Wir haben uns gefragt, wer welche Kenntnisse und Erfahrung mitbringt, um uns diese Aufgaben aufzuteilen.“ Als Ergebnis kümmert sich Setareh Huschi um das gesamte Abrechnungswesen. Simone Klüber organisiert die ambulanten Operationen, Anna Jacob ist die Ansprechpartnerin für Personalgespräche und Lehre. Außerdem verantwortet jede der drei Ärztinnen eine gynäkologische Sektion. Huschi die Urogynäkologie, Jacob die Onkologie und Klüber den Bereich Dysplasie.

Neben der Abgrenzung von Zuständigkeiten bewerten die Chefärztinnen aber genauso das Miteinander als Plus: „Natürlich bestehen Berührungspunkte zwischen unseren Bereichen und auch unsere Kompetenzen überschneiden sich teilweise“, berichtet Huschi. Es ist also immer eine gut vorbereitete Kollegin in der Nähe, mit der man sich beraten kann. „Ich kann fragen, was meint ihr denn dazu und stehe nicht alleine vor Entscheidungen. Das entlastet total.“

Es entstehen Synergien

Huschi beschreibt die Arbeitsweise des Führungstrios wie folgt: „Ich kann auf die Erfahrungen der Kolleginnen im klinisch-medizinischen Bereich zurückgreifen. Wir sind Expertinnen, aber wir halten es nicht für sinnvoll, bestimmte Entscheidungen ohne Unterstützung oder Beratung zu treffen. Wir verfügen auch über ein Berichtswesen und Supervision und achten darauf, ob sich etwas verbessern lässt.“

Plus an Arbeitszufriedenheit

Durch gute Absprachen hält sich das Führungstrio gegenseitig den Rücken frei. Dabei thematisieren die drei Chefärztinnen sachliche Fragen, aber auch Stimmungen oder  Unstimmigkeiten. „Im Urlaub oder während einer Fortbildung bin ich sicher, dass die Kolleginnen alle Aufgaben abdecken. Ich weiß, da ist jemand, der kann und entscheidet in meinem Sinn. Das gibt unglaublich viel Zufriedenheit“, sagt Huschi.

Was Topsharing aus Sicht der drei Gynäkologinnen nicht
verändert, ist die Arbeitsbelastung. „Unsere drei Vollzeitstellen mit je 40 Wochenstunden reichen oft nicht aus, um alles zu erledigen, was wir uns vorgenommen haben“, sagt Huschi. „Das hängt auch mit dem Anspruch zusammen, den wir selbst an unsere Arbeit stellen. Wir möchten, dass möglichst alles klappt.“ Die Zahlen sprechen für das ungewöhnliche Modell der Dreierführung. „Die Zahl der Patientinnen und somit auch die Wirtschaftlichkeit der Abteilung wurde deutlich gesteigert.“

Wirtschaftlicher Veränderungsdruck

Wird sich dieser neue Ansatz, eine Klinik zu führen, verbreiten? Wegen des Fachkräftemangels, glaubt Huschi, wachse nun in vielen Häusern die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. An Unikliniken schätzt sie den Veränderungsdruck hingegen geringer ein. Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten sei dort noch nicht gravierend, die Finanzierung weniger problematisch und starre hierarchische Strukturen könnten sich dort noch länger halten.

Dennoch: Die traditionelle Vorstellung, dass für eine Klinik eine Chefärztin oder ein Chefarzt ausreiche, sieht Setareh Huschi wanken. „Ich kann alles und ich bin der oder die Einzige, der oder die es kann. An diese Idee glaubt niemand mehr“, sagt die Chefärztin aus Hamburg. „Niemand nimmt mehr an, dass eine Einzelperson das gesamte Spektrum dieser Position auf höchstem Niveau abzudecken vermag.“ Wie es anders gehen kann, dafür entstehen gerade die Modelle. Sie stammen, wie hier, sehr oft von Frauen.

Evelyn Lehmisch-Rambo hat das Gespräch geführt und den Beitrag verfasst. Sie wirkt freiberuflich im Auftrag von Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk bei der Erstellung der DÄB-Umfrage zum Topsharing mit.
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