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Die Klimasprechstunde: So gelingt klimasensible Gesundheitsberatung

Die Sprechstunden sind übervoll. Nun sollen wir Ärztinnen dort auch noch klimabezogene Gespräche führen? Wir raten dazu und erklären hier, warum – und wie es gehen kann.

Nach Berechnungen in Lancet Planetary Health (The public health implications of the Paris Agreement: a modelling study; 2021) ließen sich in Deutschland rund 165 000 vorzeitige Todesfälle vermeiden – würden wir die Klimaschutzziele erreichen. Das entspricht etwa 16 Prozent der gesamten Sterbefälle in Deutschland. Wie kann eine solche Zahl zu Stande kommen?

Das Forscherteam aus London legt in seinen Berechnungen ein Szenario grundlegender Reformen in Landwirtschaft, Industrie, Energieerzeugung, Wohnungsbau, Verkehr und in der Abfallwirtschaft zugrunde. Sie bewirken erhebliche gesundheitliche Verbesserungen:

Wird das Radfahren aus Gründen des Klimaschutzes gefördert, bewegen sich Bürger:innen mehr und reduzieren so Übergewicht und seine Folgeerkrankungen. Wer auf eine klimabe­wusste Ernährung achtet, isst zudem weniger rotes Fleisch und weniger verarbeitete Lebensmittel und stattdessen mehr Gemüse, Obst, Nüsse und Hülsenfrüchte. Das verhindert viele Neuerkrankungen wie etwa bei Diabetes Typ 2, Krebs, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Asthma oder Arthrose. Allein der Wandel in der Ernährung würde ein Minus von 143 000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in Deutschland verheißen!
„Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen (…) und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlage im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.“
§ 1 Musterberufsordnung
Als im Gesundheitswesen arbeitende Berufsgruppe genießen wir Ärztinnen, Zahnärztinnen und Studentinnen der Medizin und Zahnmedizin hohes Vertrauen in der Gesellschaft. In vielen medizinischen Bereichen ist Kommunikation unser wichtigstes Werkzeug und wir sind geübt in Gesprächsführung.

Dennoch birgt die Kommunikation zum Thema Klima und Gesundheit besondere Herausforderungen – im beruflichen Bereich, aber auch im privaten Umfeld. Wir müssen uns erst entsprechend vorbereiten, um sicher Gespräche führen zu können.

Was braucht es dafür?
  • Wissen über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit
  • eine Haltung zum Thema Umwelt und Klima
  • Sprachfähigkeit in Bezug auf die Klimakrise
Wie gelingt gute Kommunikation zu diesem Thema, die vielleicht sogar eine Verhaltensveränderung bei unserem Gegenüber anstößt? Dafür gibt es einige grundsätzliche Regeln:
  • Ernsthafte Gespräche lassen sich nicht auf die Schnelle führen. Sie brauchen Zeit und Ruhe. Falls die Sprechstunde voll ist, sollte man sich lieber nicht auf eine Diskussion einlassen.
  • Achten Sie darauf, ob Ihr Gegenüber Offenheit für das Thema erkennen lässt. Falls nicht: auf die nächste Gelegenheit warten.
  • Sie sichern sich Aufmerksamkeit und Reaktanz, wenn Sie sich eine gemeinsame Gesprächsebene aus dem großen Feld der Klimathematik suchen, die Ihren Patienten oder Ihre Pa­tientin interessieren könnte.
  • Sie sollten ein gutes Setting wählen. So eignet sich zum Beispiel die Beratung aus Anlass einer Untersuchung, in der es sowieso um Prävention geht. Aspekte sind dann einerseits die Lebensstil-Änderungen mit Ernährung und Bewegung. Andererseits sollte Aufklärung zu Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit erfolgen. Schlagworte: Hitze, Allergien, Luftverschmutzung, neue Krankheitserreger. Auch die Notwendigkeit einer Medikationsanpassung unter Hitzebedingungen bei chronisch kranken Personen kann ein Türöffner für eine „Klimasprechstunde“ sein.
Manchmal eröffnet sich auch die Möglichkeit, mit Patient:innen über ein mögliches politisches und /oder soziales Enga­gement zu reden. Bedenken Sie: Jedes Gespräch hat eine stille Wirkung. Es klingt bei der angesprochenen Person nach und kann im besten Fall deren Einstellung verändern.

Zahlreiche Studien, die sich mit den verschiedenen Aspekten der (Klima-)Kommunikation und Motivation zur Verhaltensänderung beschäftigen, zeigen: Den besten Effekt erreicht die Kombination aus Verhältnisprävention (Reduktion von Risikofaktoren im Umfeld) und Verhaltensprävention (Schutzmaßnahmen, die das Individuum nach Unterweisung anwendet). Stärken wir die Gesundheitskompetenz unserer Patient:innen durch unsere fachkundige Aufklärung, stärkt das die Verhaltensprävention: Nur gut informierte Menschen können ihr klimaneutrales und gesundheitsförderndes Verhalten verbessern und die Folgen des Klimawandels für ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihrer Angehörigen reduzieren.

Wie aber steht es mit dem Reden über Verhältnisprävention? Als Ärztin fragt man sich da sicherlich, wie politisch man im professionellen Kontext sprechen soll? Wir finden: Ja, wir dürfen bei Themen mit gesundheitlichen Auswirkungen politisch sein und Stellung beziehen! Schließlich haben gesamtgesellschaftliche Änderungen massive Auswirkung auf unsere Gesundheit. Ein Beispiel: Die Reduktion der Luftverschmutzung durch ein Tempolimit und weniger Individualverkehr würde für Deutschland knapp 9 000 Menschen pro Jahr weniger bedeuten, die an den Folgen schlechter Luft sterben. Wir haben dabei die Berufsordnung auf unserer Seite.

Weitere Informationen:
Dr. med. Ulrike Berg und Dr. med. Tonia Iblher beraten als Allgemeinmedizinerinnen und Schmerztherapeutin ihre Patien­t:innen in Gustavsburg und Lübeck zu klimasensiblen Themen. Zusammen organisieren sie den Ausschuss „Klimawandel und Gesundheit“ im DÄB.

E-Mail: klima@aerztinnenbund.de
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