Foto: Oliver Kraus

Editorial

Liebe Kolleginnen,

„Wie schaffen wir den Kulturwandel?“ Diese Frage auf dem Titel der aktuellen Ausgabe der ärztin beantworten die Beiträge auf den Seiten 5 bis 9 aus verschiedenen Blickwinkeln. Berechtigt ist aber natürlich auch die Frage: Benötigen wir einen richtigen Kulturwandel überhaupt? Reichen nicht auch punktuelle Veränderungen? Wir finden: nein! Der Medizinbetrieb braucht eine tiefgreifende, grundsätzliche Veränderung. Die Signale sind deutlich: Alle Beteiligten im Gesundheitswesen erleben, dass es knirscht im System – und das deutlich hörbar. Aber nicht nur die Akteur:innen im Gesundheitswesen nehmen das wahr, sondern auch Patient:innen und deren Ange­hörige.

Die zunehmende Ökonomisierung, getaktete Versorgung, steigende Fallzahlen, Ärzt:innenmangel und ein sich wandelndes Verständnis in der Gesellschaft, wie Arbeit und andere Lebensinhalte zeitlich zu gewichten sind – all das hängt zusammen. Um eine Klinik zukunftsfähig aufzustellen, braucht es Strukturen, die die Erwartungshaltungen der Menschen, die in der Klinik arbeiten, und derer, die zur Behandlung kommen, konstruktiv verbinden. Das System Krankenhaus basiert teilweise auf Erwartungen an Ärztinnen und Ärzte, die insbesondere die nachkommende Genera­tion nicht länger als attraktiv ansieht. Zugleich werden die Erwartungen der Patient:innen an das Gesundheitssystem zunehmend unbefriedigend erfüllt.

Es ergibt sich ein Grundkonflikt, der keinesfalls nur Ärztinnen beschäftigt, sondern zunehmend männliche Kollegen einschließt. Die Konsequenz ist, dass sich Ärztinnen und Ärzte vermehrt gegen den Arbeitsplatz Krankenhaus entscheiden, in alternative Beschäftigungsfelder abwandern und damit der direkten Versorgung von Patient:innen verloren gehen. In Anbetracht von Fachkräftemangel und demografischer Entwicklung, die auch vor der Ärzt:innenschaft nicht haltmacht, ist ein Kulturwandel dringend notwendig, damit die patientennahe ärztliche Arbeit – ob in Klinik oder Praxis – wieder als erstrebenswert empfunden wird.

Um Personal zu binden, ist der Wandel der Führungskultur hin zu einem wertschätzenden Umgang mit den Mitarbeiter:innen entscheidend. Darüber hinaus ist das Schaffen adäquater Rahmen­bedingungen dafür ausschlaggebend, inwiefern sich Ärztinnen und Ärzte in die Versorgung von Patient:innen einbringen können und möchten – insbesondere, wenn es um die Vereinbarkeit der Arbeit mit beispielsweise der Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen geht. Dies ist für Frauen und Männer zunehmend gleichermaßen wichtig.

Der DÄB hat hier die wichtige Funktion, Missstände zu erfassen, diese öffentlich zu benennen und optimalerweise Lösungsvorschläge mit den gesundheitspoli­tischen beziehungsweise politischen Entscheidungstragenden zu diskutieren. Der vom DÄB einberufene Runde Tisch, der führende Vertreterinnen der Fachge­sellschaften zusammenbringt, hat genau das zum Ziel: gemeinsame Themen zu identifizieren und daraus gemeinsame Aktionen abzuleiten. In der Diskussion hat sich fächerübergreifend herauskristallisiert, dass verhärtete patriarchale Strukturen auch weiterhin ein großes Hemmnis für Ärztinnen sind, in Führungspositionen zu gelangen. Und wenn Ärztinnen in Leitungsfunktionen sind, erschweren es ihnen eben diese Strukturen, die Position zufriedenstellend auszufüllen. Solche Ergebnisse unserer nach außen gerichteten Arbeit wirken immer wieder auch direkt in den DÄB zurück. Netzwerken und Mentoring beispielsweise sind in diesem Kontext wichtige Tools, die wir im Rahmen unseres MentorinnenNetzwerkes pflegen – und, wie unsere Autorin auf Seite 7 beschreibt, wichtige Bausteine, um den Kulturwandel zu beschleunigen.

Mit kollegialen Grüßen

PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser,
Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes

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