Foto: Frankfurt UAS

„Es ist ein Mythos, dass Frauen weniger beruflichen Ehrgeiz haben als Männer“

Frauen hätten weniger beruflichen Ehr­geiz als Männer: Diese Behauptung taucht immer wieder auf, um den geringen Anteil von Frauen in Führungspo­sitionen zu rechtfertigen. Stimmt sie?

Nein. Mehrere Studien belegen, dass die Karriereambitionen zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs bei jungen Frauen genauso hoch sind wie bei jungen Män-nern – oder sogar höher. In einer US- Studie von Bain & Company beispielsweise strebten 43 Prozent der Frauen in den ersten zwei Jahren nach dem Hochschulabschluss eine Position im Top­management an, bei den Männern nur 34 Prozent. Nach zwei oder mehr Arbeitsjahren sank der Karriereanspruch der Frauen jedoch drastisch. Nur noch 16 Prozent der Frauen wollten eine Führungsposition. Bei den Männern waren es unverändert 34 Prozent.

Was demotiviert die Frauen so?


Frauen treffen im Arbeitsleben auf ein „Uneven Playing Field“. Zum Beispiel rücken sie schwerer in den Kreis derer auf, die protegiert und gefördert werden. Sie erhalten teilweise andere Aufgaben als Männer und weniger positive Rückmeldung auf ihre Arbeit. Diese Diskriminierung findet oft unbewusst statt, etwa weil Führungskräfte sich automatisch mit Menschen umgeben, die ihnen ähneln. Für Männer sind das meist Männer. Die Frauen merken, dass es zweierlei Maßstäbe gibt. Dadurch verlieren viele das Zutrauen und die Zuversicht, ihre beruflichen Ziele erreichen zu können.

Gibt es weitere Diskriminierungen?

Frauen erfahren Unterschiede zwischen Männern und Frauen, aber auch zwischen Müttern und Nicht-Müttern. So wird Müttern trotz guter Leistungen ein geringes Karrierebewusstsein unterstellt. Dabei stimmt das gar nicht. Hochqualifizierte Frauen, etwa Ärztinnen, erkaufen sich mit einem Teilzeitvertrag vor allem Flexibilität. Sie arbeiten genauso viel oder nicht viel weniger als Männer – nur zu anderen Zeiten. Die Teilzeitregelung ermöglicht es ihnen, zwischendurch die Kinder abzuholen und ihre privaten Verpflichtungen zu organisieren.

Viele Arbeitgeber argumentieren, Führungskräfte müssten immer verfügbar sein.

Die meisten Führungskräfte sind häufig in Meetings oder auf Reisen und keinesfalls immer erreichbar. Ich bin überzeugt, dass sich interessante Spitzenjobs auch anders bewältigen lassen als durch 70- Stunden-Präsenz. Zeitgemäße Managementmodelle setzen verstärkt auf partizipative Führung. Mitarbeiter:innen sind dabei in Entscheidungsprozesse einbezogen und arbeiten so selbstständig, dass die Führungskraft nicht ständig anwesend sein muss. So ein Ansatz lässt sich zum Beispiel mit Top-Sharing verbinden. Auch in der Medizin wird eine übergreifende Zusammenarbeit in vielen Bereichen wichtiger – etwa bei der Betreuung von chronisch kranken Menschen. Solche Entwicklungen bieten Chancen für neue Karrieremodelle.

Was müssten Arbeitgeber, etwa Kliniken, leisten, um den Weg für Chancengleichheit bei der Karriere zu ebnen?

Zunächst müssen sie die Ist-Situation analysieren und unter anderem ein Bewusstsein für unterschwellige Diskrimi­nierungen schaffen. Bei Letzterem hel­fen Schulungen. Viele Faktoren lassen sich auch einfach gut messen und ob­jektivieren. Etwa, wie lange Frauen und Männer auf einzelnen Positionen verharren, ehe sie aufsteigen. Oder wie hoch der Frauenanteil bei Bewerbungen auf bestimmte Stellen liegt. Aus solchen
Daten lassen sich Maßnahmen ableiten, um echte Gleichstellung zu erreichen.

Interview: Alexandra von Knobloch

Prof. Dr. Regine Graml, M.A., ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschafts- lehre, insbesondere Personalmanagement und Organisation am Fachbereich Wirtschaft und Recht der Frankfurt University of Applied Sciences. Außerdem ist sie Mitglied im Direkto­rium des Instituts für Mixed Leader­ship. Sie forscht zu den Themen Frauen, Führung, Diversität und Diskriminierung in der Arbeitswelt.

E-Mail: graml@fb3.fra-uas.de
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