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Gewalt und ihre Folgen: Ein lohnenswerter, vertiefter Einblick

Buchbesprechung

Alle Erhebungen sprechen dafür: Häusliche Gewalt und ihre verschiedenen Ausprägungen haben während der Corona-Pandemie zugenommen. Die ohnehin große Dringlichkeit des Themas ist noch einmal gewachsen. Das Buch „Gewalt und ihre Folgen – Traumafolgestörungen und Bewältigungsstrategien“ trifft genau in diese Aktualität. Es beschreibt in meh­reren Kapiteln, die von verschiedenen Autor:innen verfasst wurden, die resultierenden Erkrankungen auf psychischem und somatischem Gebiet. Außerdem schafft es einen Überblick über die Behandlungsmöglichkeiten.

Buch-Cover
Wenig erforschte Opfergruppen

Die Dunkelziffer für Gewalt und speziell auch sexuelle Gewalt ist hoch anzusetzen, da durch die langen Aufenthalte im häuslichen Umfeld – durch Home Office, Homeschooling und Quarantäne – kaum Informationen über die wahre Situation nach außen gedrungen sind. Außerdem war den außerhäuslichen Instanzen, darunter Erzieher:innen in KiTas und Schulen – die Kontrolle entzogen.

Die überwiegende Anzahl der Betroffenen von Gewalt sind Frauen. Aber das Buch rückt auch Gruppen ins Blickfeld, zu denen bisher relativ wenig Forschungsarbeit existiert, darunter Männer sowie Menschen ohne Wohnung. Bei der großen Mehrheit von Betroffenen und dadurch traumatisierten Menschen ist die Möglichkeit, ein niedrigschwelliges Behandlungsangebot annehmen zu können, noch nicht angekommen oder wird aus Angst nicht angenommen. Vielfach ist es auch nicht möglich, den Traumatisierten eine Behandlung anzubieten, da die notwendigen Ressourcen fehlen.

Angst ist in der Krisensituation eine von der Gesellschaft tolerierte Reaktion, und es wird nicht nach der Ursache geforscht. Dabei ist die neu aufgetretene Angst eine in der Gegenwart getriggerte Erinnerung an eine frühere Gewalterfahrung oder Traumatisierung. Und so können nach und nach Traumafolge­störungen auftreten, die sich chronifizieren, wenn sie nicht behandelt werden – beziehungsweise gar nicht erst diagnostiziert werden.

Die Autor:innen des Buchs stellen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten vor, unter anderem das mit gutem Erfolg angewandte „Philippinen-Modell“ oder die Körperarbeit, um das Wechselspiel Soma und Psyche in Beziehung und Balance zu bringen. Voraussetzung ist allerdings, dass Therapeut:innen ein Gespür dafür entwickelt haben, diese Wechselwirkungen (Ursache/Wirkung) zu erkennen, um dann auch Retraumatisierung verhindern zu können. Für die unmittelbare Versorgung nach Flucht und Gewalterfahrung wurden spezielle Konzepte entwickelt.

Demenz als Traumafolge

Warum ist der professionelle Umgang mit Traumatisierten so wichtig? Weil körperliche Beschwerden mit Manifestation und Chronifizierung durchaus als Folge auftreten können wie etwa Diabetes mellitus und Demenz. Das gilt es so gut wie möglich zu verhindern.

Das Buch eröffnet eine neue Sicht auf das Thema – und das gilt nicht nur für Fachleute wie beispielsweise Jurist:innen, Ärzt:innen, medizinisches Personal, Sozialarbeiter:innen oder Berater:innen. Wertvolle Informationen erhält durch diese Zusammenstellung jedes wache, mündige Mitglied der Gesellschaft.

Barbara Bojack (Hrsg.): Gewalt und ihre Folgen – Traumafolgestörungen und Bewältigungsstrategien, ZKS-Verlag; ISBN 978-3-947502-51-6

Dr. med. Heidrun Popovic ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und ärztliche Psychotherapie in Pohlheim.
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