Foto: Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung

Interprofessionelle Schwangerenvorsorge: Kein Abrechnungs- oder Haftungsproblem für Frauenärztinnen

Schwangere, die Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen möchten, können frei wählen, ob sie dies bei eine:r Frauenärzt:in oder bei einer Hebamme oder bei beiden im Wechsel tun. Viele Frauenärzt:innen sorgen sich, ob ihnen das unter anderem Abrechnungsprobleme bereitet. Eine Klarstellung.

Die Wahlfreiheit der Schwangeren steht im fünften Sozialgesetzbuch im § 24d: „Die Versicherte hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchung zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerschaftsvorsorge.“

Basierend darauf und auf der Grund­lage internationaler Studien zur Hebammenvorsorge sieht auch das 2017 vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichte Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ eine gute Kooperation von Frauenärzt:innen und Hebammen in der Schwangerenvorsorge als wichtiges Ziel einer frauenzentrierten Versorgung.

Falsche Formulierung in den Mutterschafts-Richtlinien

Unter den Frauenärzt:innen ist jedoch die Sorge weit verbreitet, dass eine Beteiligung von Hebammen an der Schwangerenvorsorge zu Abrechnungs- und Haftungsproblemen bis hin zu Regressforderungen der Krankenkassen führen könnte. Durch Warnungen ihres Berufsverbandes und Abrechnungshinweise von kassenärztlichen Vereinigungen fühlen sich viele Frauenärzt:innen darin bestärkt, sich nicht auf eine gemeinsame Vorsorge mit Hebammen, etwa im sogenannten Wechselmodell, einzulassen – auch wenn diese von den Schwangeren gewünscht wird.

Begründet wird die ablehnende Haltung unter anderem mit dem in den Mutterschafts-Richtlinien verankerten Delegationsvorbehalt, der eine Versorgung durch die Hebamme nur vorsieht, „wenn der Arzt dies im Einzelfall angeordnet hat oder wenn der Arzt einen normalen Schwangerschaftsverlauf festgestellt hat und daher seinerseits keine Beden­ken gegenüber weiteren Vorsorge­unter­suchungen durch die Hebamme bestehen“. Hieraus leiten die Frauenärz­t:innen ab, dass sie für eventuelle Fehler der Hebammen haften.

Hinzu kommt, dass die Abrechnung im EBM über eine Pauschale erfolgt (EBM GOP 01770), die alle Vorsorgen eines Quartals beinhaltet. Dies scheint für viele Frauenärzt:innen zu belegen, dass sie tatsächlich alle Vorsorgen selbst erbringen müssen, um die Pauschale abrechnen zu dürfen.

Es gibt Entwarnung

Doch es kann Entwarnung gegeben werden. Die Annahme, eine interprofessionelle Schwangerenvorsorge könne für die Frauenärzt:innen zu Problemen führen, ist aus den folgenden Gründen falsch:

1. Der Delegationsvorbehalt in den Mutterschafts-Richtlinien steht im Widerspruch zum Leistungsanspruch, wie er im § 24d des fünften Sozialgesetzbuches festgelegt ist. Hier hat das Sozialgesetzbuch den Vorrang: Die Wahl­freiheit ist zu gewährleisten und die angeführten Leistungen müssen von den Krankenkassen bezahlt werden.

2. Der Delegationsvorbehalt ist nicht mit dem Hebammengesetz und den Berufsordnungen der Hebammen vereinbar. Die Befähigung zur Berufsausübung umfasst laut Gesetz eine eigenverantwortliche Tätigkeit der Hebammen, wel- che auch das Erkennen der Anzeichen von Regelwidrigkeiten umfasst, die eine ärztliche Behandlung erforderlich ma- chen. Das Vergütungsverzeichnis der Hebammen nimmt ausdrücklich Bezug auf die Leistungsinhalte der jeweils gültigen Fassung der MutterschaftsRichtlinie. Die Vorsorgeleistungen von Hebammen und Ärzt:innen sind also gleichwertig. Dies findet auch darin Ausdruck, dass eine doppelte Durchführung und Abrechnung nicht zulässig ist.

3. Auch die Abrechnungspauschale steht der gemeinsamen Schwangerenvorsorge durch Hebammen und Frauen­ärzt:innen nicht im Wege. In den Angaben zu den obligaten Leistungsinhalten zur Abrechnung heißt es lediglich, die Vorsorgeleistungen seien „im Allgemeinen alle vier Wochen zu erbringen“. Ein Ausschluss der Abrechnung bei nur einmaliger Vorsorge im Quartal, wie von der KBV kommuniziert, ist daraus nicht abzuleiten. Dem widerspricht die Wahl­freiheit, denn diese beinhaltet sowohl die Inanspruchnahme von Hebamme und Ärzt:in als auch etwa den Verzicht auf einzelne Vorsorgeleistungen, der keinesfalls die Abrechnung der Vorsorgepauschale ausschließt.

Da alle Vorsorgeleistungen im Mutterpass dokumentiert werden, ist aus ihm ersichtlich, welche Untersuchungen schon stattgefunden haben, so dass eine unzulässige doppelte Erbringung und Abrechnung von Ärzt:innen und Hebammen leicht vermieden werden kann. Eine systematische Prüfung der abgerechneten Vorsorgeleistungen durch die Krankenkassen – wie im Newsletter des BVF behauptet wird – findet nicht statt. Diese ist aus sachlogischen Gründen gar nicht möglich, denn den Kassen liegen keine Angaben zu den einzelnen im Rahmen der Pauschale erbrachten Leistungen vor.

Gemeinsam wäre vorteilhaft

Analysen der Barmer zeigen, dass trotz Versorgungsanspruch und eindeutigen Regelungen im Hebammengesetz und in den Berufsordnungen für Hebammen die eigenständige Schwangerenvorsorge durch Hebammen allein oder im Wechsel mit Frauenärzt:innen in Deutschland die Ausnahme ist. Analysiert wurden 430 000 Schwangerschaften der Jahre 2015 bis 2019. Im Durchschnitt wurde für jede schwangere Barmer-Ver­sicherte während der Schwangerschaft 3,9-mal die ärztliche Quartalspauschale abgerechnet, jedoch nur durchschnittlich 0,37-mal eine Vorsorgeuntersuchung bei der Hebamme. Für 75 Prozent der Schwangerschaften wurde gar keine Schwangerschaftsvorsorge durch eine Hebamme in Rechnung gestellt. Vorsorge im Wechsel fand nur bei 1,2 Prozent der Schwangerschaften statt. Dabei zeigen Studien, dass der präventive Ansatz der Hebammenvorsorge unter anderem zu geringeren Interventions­raten bei der Geburt, zur Vermeidung von Frühgebur­ten, zu einer höheren Stillrate und zu mehr Zufriedenheit bei den Frauen beiträgt. Der Einbezug der Hebamme hat also positive Auswirkungen auf das Outcome und führt darüber hin­aus zu einer hohen Zufriedenheit bei allen Beteiligten. Das sagen auch Frauenärzt:innen, die mit Hebammen in der Vorsorge kooperieren. Sie gewinnen ohne finanzielle Einbußen Freiraum für die Schwangeren mit pathologischen Verläufen, die eine besonders intensive ärztliche Betreuung benötigen. Frauen, die eine Mitbetreuung durch eine Hebamme wünschen, können von den Vorteilen beider Berufsgruppen profitieren und die Praxisbindung und Zufriedenheit ist hoch.

Was kann getan werden?

Stellt man die Bedürfnisse und die Rechte der Schwangeren in den Mittelpunkt, kommt man nicht umhin, ausreichend Vorsorgeangebote aller Berufsgruppen zur Verfügung zu stellen und für eine reibungslose Zusammenarbeit zu sorgen. Der Gemeinsame Bundesausschuss sollte dafür zügig die Voraussetzungen schaffen durch eine Streichung des Delegationsvorbehaltes aus der Mutterschaftsrichtlinie. Zusätzlich wäre eine klarstellende Anmerkung zur GOP 01770 im EBM-Katalog hilfreich.

Die gute Nachricht

Auch jetzt schon ist eine interdisziplinäre Schwangerenvorsorge ohne Nachteile möglich. Dies stellen einige erfolgreiche Kooperationspraxen unter Beweis, die eine Zusammenarbeit über viele Jahre erprobt haben.

Der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF e. V.) veranstaltet am 4./5. November 2022 eine Fachveranstaltung zum Nationalen Gesundheitsziel mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Interdisziplinären Schwangerenvorsorge. Dort oder über die Autorin können Sie erfolgreiche Kooperationspraxen kennen­lernen und sich inspirieren lassen.

Literatur und mehr Infos bei der Autorin.

Dr. med. Dagmar Hertle, Fachärztin für Innere Medizin, Psychotherapie und äQM, war nach klinischer und niedergelassener Tätigkeit in der Qualitätssicherung (BQS und IQTIG) unterwegs und arbeitet seit 2019 am Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung. Sie engagiert sich seit vielen Jahren im AKF e. V. und war von 2014 bis 2017 dessen Vorsitzende.

E-Mail: hertle@akf-info.de