Foto: Martin Henze

Kontra: Moralgesetzgebung ist ineffektiv

Wie jede rechtliche Regelung muss sich auch der Rechtsrahmen für Prostitution daran messen lassen, ob er sein Ziel erreicht oder wenigstens erreichen kann. Durch das Nordische Modell des Sexkaufverbots, wie in Schweden, verschwindet die Prostitution nicht – im Gegenteil, die Probleme für die betreffenden Frauen wachsen.

Nicht erst seit Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes im Juli 2017 oder des Prostitutionsgesetzes im Januar 2002 gibt es die Debatte über Pro­stitution. Sie wogt zwischen zwei feministischen Positionen hin und her, die miteinander unvereinbar sind. Ein Argumenta­tionsstrang deutet Prostitution (von Frauen) als Durchsetzung männlicher Macht-, Dominanz- und Herrschaftsansprüche über Frauen und den weiblichen Körper. Prostituierte werden als Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse und männlicher Herrschaftsansprüche wahrgenommen. Demnach stellt Prostitution stets ein Gewaltdelikt dar, weshalb sie in jeder Form zu bekämpfen ist.

Dem steht eine Auffassung gegenüber, die eine durchgän­gige Opferrolle von in der Prostitution arbeitenden Frauen ablehnt und stattdessen Rechte, Respekt und bessere Arbeitsbedingungen fordert; die so verstandene freiwillige Prostitution – in Abgrenzung zur Zwangsprostitution – wird Sexarbeit genannt und als „Arbeit wie jede andere“ verstanden.

Diese Positionen spiegeln sich im Rechtsrahmen, in dem Pro­stitution ausgeübt oder nicht ausgeübt werden soll. Das Nordische Modell ist annähernd in Reinform der ablehnenden Position zuzuordnen, die Prostitution als stets unfreiwillig, als Gewalt an Frauen liest. Demgegenüber unternimmt das geltende Prostituiertenschutzgesetz den Versuch der Vermittlung.

Deutschland versucht es zweigleisig


Es ist einerseits an der akzeptierenden Position ausgerichtet; denn es will die sexuelle Dienstleistung entlang eines gewerberechtlichen Modells von Anzeige- und Erlaubnispflichten regulieren. Andererseits werden Prostituierte als schutzwürdig angesehen und besonderen Beratungsangeboten, etwa zum Gesundheitsschutz, unterworfen. Und schließlich gibt das Gesetz den Behörden auf, das Verfahren dazu zu nutzen, Opfer von Menschenhandel zu erkennen.

Ziel des Nordischen Modells ist es, Prostitution zu bekämpfen, indem ihr mit Strafnormen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird. Richtig daran ist in der Theorie, dass das Strafrecht nach seiner allgemeinen Zwecksetzung auch der Abschreckung, nicht nur der Sanktionierung dient. Die generalpräventive Wirkung von Strafnormen ist aber vor allem abhängig von ihrer Durchsetzung.

Mehr Gefahren für Prostituierte

Das Beispiel Schwedens zeigt, dass diese Durchsetzung nur auf den ersten Blick gelingt. Zwar wird der sogenannte Straßenstrich als offen sichtbarer Markt zurückgedrängt, weil die Kontrolle durch die Polizei besonders einfach ist. Für die öffentliche Wahrnehmung ist das günstig, weil der Straßenstrich von allen Erscheinungsformen der (legalen) Prostitution die größte gesellschaftliche Ablehnung erfährt. Das bedeutet aber weder in Schweden noch in anderen Ländern, die Prostitution verbieten oder auf die eine oder andere Weise kriminalisieren, dass sie verschwindet. An ganz verschiedenen Orten von Wohnungen bis zum Wald wirken die Strafnormen nicht mehr abschreckend, weil sie mangels effektiver Kontrollen nicht mehr wirksam durchgesetzt werden können.

Die Frage, ob sich die Freierstrafbarkeit als wesentlicher Baustein des Nordischen Modells bewähren würde, muss damit auch aus der Sicht der Prostituierten gestellt werden. Studien aus europäischen Ländern, die Varianten des Verbots von Prostitution etabliert haben, zeigen, dass Prostitution zu nicht oder kaum sichtbaren Orten verschoben wird, um den Zugriff der Sicherheitsbehörden zu unterbinden.

Prostituierte werden dadurch noch vulnerabler: Bei der Begegnung mit dem Freier fehlt Zeit, um die Vertragsbedingungen auszuhandeln. Freier achten darauf, anonym zu bleiben, Hygie­ne spielt keine Rolle mehr, Gewalt nimmt zu. Das Modell lässt auch keine staatliche Förderung von Beratungsangeboten zu Themen wie Gesundheitsvorsorge, Gewaltschutz oder zu Behördengängen zu, die sich an aktive Prostituierte wenden. Der Schutz von Frauen tritt zugunsten der Durchsetzung einer moralisch grundierten Haltung zu Prostitution zurück.

Evaluation aus Deutschland abwarten

Ob das Prostituiertenschutzgesetz seine Ziele – Schutz von Frauen in der Prostitution, effektive Bekämpfung von Menschenhandel – erreicht, ist ebenfalls fraglich. Ende 2021 waren nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes bei den Behörden in Deutschland rund 23 700 Prostituierte nach dem Verfahren des Prostituiertenschutzgesetzes angemeldet, darunter etwa 20 Prozent deutsche Staatsangehörige und etwa 70 Prozent Staatsangehörige aus dem europäischen Ausland. Außerdem hatten 2 290 Prostitutionsgewerbe, vornehmlich Bordelle, eine erteilte oder vorläufige Erlaubnis erhalten. Es spricht einiges dafür, dass sich die Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer der Regulierung in größerem Umfang entziehen.

Das bedeutet aber nicht, dass das Gesetz nunmehr ersetzt werden sollte. Die gesetzlich vorgesehene Evaluierung des Prostituiertenschutzgesetzes, die bis Juli 2025 vorliegen soll, hat unter Federführung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gerade erst begonnen. Sie ist breit angelegt und wird über die Analyse des behördlichen Verfahrens, auf die sich die Zwischenevaluierung von 2019 beschränkte, weit hinausgehen. Sie wird hoffentlich die bislang nur rudimentäre Datenlage über Prostitution verbessern.

Dass wir zu wenig über Prostitution wissen, zeigt sich schon daran, dass die Zahl der Prostituierten nicht bekannt ist; es tauchen regelmäßig die Zahlen 200 000, 400 000 und auch 800 000 auf, die alle nicht statistisch belegt sind. Die Evaluierung wird außerdem in qualitativer Hinsicht Hinweise darauf geben, wie Prostitution in Deutschland effektiver zum Schutz von Frauen reguliert werden kann.

Bündeln wir unsere Kräfte an den richtigen Stellen!

Bis die Evaluierung des Prostituiertenschutzgesetzes vorliegt, sollten wir Frauen für eine Stärkung der Gesundheitsvorsorge und -fürsorge für Prostituierte streiten, etwa durch Beratungsangebote. Nicht aber für eine ineffektive Moralgesetzgebung nach dem Nordischen Modell. Strafnormen zu Prostitution haben wir längst; sie gelten dem besonderen Schutz von Minderjährigen und Personen in einem Abhängigkeitsverhältnis in der Prostitution. Die Kriminalstatistiken zeichnen ein ernüchterndes Bild der Aufklärungsquoten, gerade in dem Deliktfeld Zwangsprostitution. Sie können nur mit einer besseren Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden verbessert werden. Hierin sollten wir unsere gesellschaftlichen Kräfte stecken, hier lohnt sich der Einsatz.

Dr. jur. Stefanie Killinger, LL.M. (Lond.) ist Präsidentin des Verwaltungsgerichts Göttingen und stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs. Sie ist seit 2019 Mitglied der Kommission „Verfassungsrecht, öffentliches Recht und Gleichstellung“ des Deutschen Juristinnenbunds e. V. (djb).

Schon lange diskutiert der DÄB intern über Menschenrechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Prostitution stellen. Dabei geht es insbesondere darum, ob der DÄB offiziell das Nordische Modell unterstützen soll. Es zielt darauf ab, die Prostitution einzudämmen, unter anderem, indem der Kauf unter Strafe gestellt wird. Lesen Sie hier das Für und das Wider zum Nordischen Modell. Und: Diskutieren Sie mit uns.
Ihr DÄB-Vorstand

E-Mail: diskussion@aerztinnenbund.de
Mehr zum Thema