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Pro: Wir brauchen eine antisexistische Regelung

Prostitution ist weder ein Beruf noch Ausdruck sexueller Selbstbestimmung, sondern eine Form der Selbstzerstörung. Von „Sexarbeit“ zu sprechen, ist eine Verharmlosung und eine Verschleierung der dem System Prostitution innewohnenden systemischen Gewalt. Es ist auch soziale Realität, dass sich viele Frauen, die der Prostitution nachgehen, in einer emotionalen und/oder wirtschaftlichen Krisensituation, einer Ausnahmesituation befinden. Sie geraten oft in einen Teufelskreis, aus dem es kaum ein Entkommen gibt – durch wirtschaftliche Not, fehlende Ausbildung, prekären Aufenthaltsstatus, Schulden, Drogenkonsum und emotionale Abhängigkeiten. Fast immer ist Prostitution beziehungsweise der Verkauf „sexueller Dienstleistungen“ Ausdruck einer Überlebensstrategie, die einen hohen Preis fordert.

Freie Entscheidung ist ein Mythos

Denn auch die sogenannte freiwillige Sexarbeit ist zu einem hohen Prozentsatz ohne eine erhebliche Vorschädigung, wie etwa Missbrauch/Inzest in der Kindheit und/oder sonstige Gewalterfahrungen wie Vernachlässigung, Vergewaltigung, Abhängigkeit, Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Armut und so weiter, nicht möglich. Auch die körperlichen Schäden durch Prostitution sind gravierend: darunter sexuell übertragbare Infektionen, Unterleibsentzündungen, akute Verletzungen und chronische Erkrankungen. Schwerwiegend sind außerdem die psychischen Erkrankungen wie Angst- und Panikstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen und Schmerzsyndrome, die meist im Zusammenhang mit einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung auftreten, sowie Suizidalität und schwere dissoziative Störungen.

Aus psychotraumatologischer Sicht ist die wiederholte Pene­tration eines Körpers ohne Konsens nur mit schweren, leidvollen körperlichen und psychischen Folgen möglich. Sexualität verknüpft sich mit Ekel-, Abscheu-, Angst- und Panikgefühlen. Um diese Gefühle nicht erleben zu müssen, dissoziieren die Frauen. Dissoziation ist ein Notfallmechanismus, er dient der Abspaltung von Gefühlen und Schmerzen aus dem Bewusstsein, damit der Körper den massiven Stress während eines Traumas überlebt. Viele Frauen in der Prostitution haben schon als Kind aufgrund von Missbrauchserfahrungen „gelernt“ sich „abzuschalten“.

Die Psyche schaltet auf Notprogramm

Diese Fähigkeit, negative Gefühle auszublenden, ermöglicht es den Frauen, gegenüber Freiern keine authentischen Gefühle zu zeigen, sondern nur erwünschtes, dem Geschäft zuträgliches Verhalten. Weitere Schutzstrategien der Psyche sind die Übernahme der Denk- und Verhaltensweisen des Täters. Die Betroffene weiß genau, wie er denkt, wie er tickt, was er will und wie sie sich entsprechend verhalten muss. Während dieser dauerhaft erzwungenen Anpassungsprozesse findet Selbstwahrnehmung praktisch nicht mehr statt. Das führt zu mangelnder Selbstfürsorge und dazu, dass viele Frauen sich ohne Selbstschutz rücksichtslos der Gier ihrer Loverboys, Zuhälter, Bordellbetreiber unterordnen, indem sie möglichst viele Freier in möglichst kurzer Zeit bedienen.

Fatale Täter-Opfer-Umkehr

Ein weiterer Schutzmechanismus ist die Täter-Opfer-Umkehr. Hierbei handelt es sich um eine Schuldzuschreibung durch die Täter, Freier und die Gesellschaft. Es ist eine Stigmatisierung in doppeltem Sinne. Der Glaube, als Person wertlos, moralisch minderwertig und schuldig zu sein, ist mit der Überzeugung verbunden, Strafe verdient zu haben. Das ebnet Wege für eine Traumawiederholung. Hinzu kommt eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung – das heißt erlernte Hilflosigkeit –, wodurch Warn­signale nicht oder zu spät wahrgenommen werden.

Traumatische Erfahrungen können an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden. So kann eine Kette inner­familiärer Gewalt entstehen.

Prostitution verstößt grundsätzlich gegen die Grundprinzipien der Menschenwürde und ist somit frauenverachtend. Es ist keine Sexualität auf Augenhöhe, denn es besteht ein Machtungleichgewicht, weil Frauen zur Ware degradiert werden. Für Prostituierte bestehen nicht nur hohe Gesundheitsrisiken, sondern auch eine um ein Vielfaches erhöhte Gefahr, ermordet zu werden.

Bündeln wir unsere Kräfte an den richtigen Stellen!

Die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland wäre ein hilfreicher Weg, der längst überfällig ist. Es geht um einen Paradigmenwechsel. Nicht die Regulierung der Prostitution steht im Vordergrund, sondern der kritische Blick auf die Sexkäufer durch ein Sexkaufverbot. Auch die Sensibilisierung der Bevölkerung ist von großer Bedeutung. Enorm wichtig ist deshalb auch eine antisexistische Erziehung. Sie bildet eine Säule des Nordischen Modells.

Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, brauchen ein Bündel von Ausstiegshilfen, sozialer, emotionaler und finanzieller Natur. Durch noch mehr Regulierung und Kontrolle werden die derzeitigen Probleme im Zusammenhang mit Prostitution nicht gelöst. Es geht um die Eindämmung der Nachfrage und um ein generelles Umdenken. Ein gemeinsames europäisches Vorgehen und die Einführung und Umsetzung des Nordischen Modells in Deutschland, wie es schon in Schweden, Norwegen, Island, Nordirland, Frankreich, Kanada und Israel praktiziert wird, kann ein guter Weg sein. Dieser garantiert den Betroffenen vollständige Entkriminalisierung und größtmögliche Ausstiegshilfen und beinhaltet Aufklärung und Sensibilisierung der Gesellschaft, um einen Bewusstseinswandel zu erreichen und reduziert den Menschenhandel durch Bestrafung der Freier und sonstiger Profiteure, um die Nachfrage zu reduzieren.

Dr. med. Margot D. Kreuzer, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Psychoanalyse, Traumapsychotherapie, hat 1987 bei Professor Volkmar Sigusch zum Thema Prostitution promoviert und ist seit 1993 in eigener Praxis in Rosenheim niedergelassen. Ein Praxisschwerpunkt sind sexuell traumatisierte Frauen. Sie engagiert sich bei TERRE DES FEMMES in der AG Frauenhandel und Prostitution, ist Koordinatorin der Städtegruppe Rosenheim und Koordinatorin der AG Gesundheit beim „Bündnis Nordisches Modell“.

Schon lange diskutiert der DÄB intern über Menschenrechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Prostitution stellen. Dabei geht es insbesondere darum, ob der DÄB offiziell das Nordische Modell unterstützen soll. Es zielt darauf ab, die Prostitution einzudämmen, unter anderem, indem der Kauf unter Strafe gestellt wird. Lesen Sie hier das Für und das Wider zum Nordischen Modell. Und: Diskutieren Sie mit uns.
Ihr DÄB-Vorstand

E-Mail: diskussion@aerztinnenbund.de
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