Foto: Heike Kammer

„Halbe Tage“ an Kliniken weiter selten – ein Hindernis für Frauen

Artikel
16.12.2020

In Kliniken verhindern starre, historisch gewachsene Strukturen immer noch die Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle. Der stationäre Bereich hinkt dem Trend der Arbeitswelt hinterher. Dabei ließen sich manche Aufgaben sogar im Home-Office erledigen.

In den letzten Jahren habe ich viele Einblicke in die Problemlage an den Kliniken gewonnen: Über die jungen Neurologen habe ich für den Kongress der deutschen Gesellschaft für Neurologie mehrere Veranstaltungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf mitorganisiert – und dabei die Diskussionen mit Assistenzärzt:innen, Oberärzt:innen, aber auch Chefärzt:innen verfolgt. Insgesamt, so mein Eindruck, hat sich schon einiges verbessert. Doch die Vereinbarkeit ist längst nicht so weit umgesetzt, wie es möglich wäre.

Abträglich sind häufig noch starre, historisch gewachsene Strukturen in Kliniken. Sie verhindern die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Zum Beispiel sind Home-Office-Zeiten kaum etabliert. Dabei ließen sich ärztliche Briefe und Dokumenta­tionen, die keinem Zeitdruck unterliegen, auch abends von zu Hause aus erledigen, wenn das besser zum Familienleben passt. Die Anwesenheitszeiten in der Klinik ließen sich reduzieren.

Vereinbarkeit noch immer nicht akzeptiert
Allerdings ist der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf in vielen Bereichen der Medizin selbst heute noch nicht akzeptiert und respektiert. Laut einem Evaluationsbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) arbeiteten 2018
immerhin 41 Prozent der Ärzt:innen in Weiterbildung im ambu­lanten Sektor in Teilzeit. In der Weiterbildung zur Allgemein­medizin hatten 63 Prozent Vollzeit, 37 Prozent Teilzeit.

In den übrigen Fachrichtungen hat sich das Verhältnis umgedreht und es arbeiten nur 46 Prozent in Vollzeit und 54 Prozent in Teilzeit. Auf dieser Grundlage fasst die Ärztezeitung in einem Artikel vom 4. Februar zusammen: „In den Statistiken offenbart sich somit der gesellschaftliche Trend zur Teilzeit.“ (Noch) überwiegend bei Frauen.

Auch in den Kliniken ist der Trend zu beobachten, doch gibt es nach wie vor häufig Herausforderungen bei der Umsetzung von Teilzeitmodellen. So scheint ein Problem bei der Organisation zu sein, dass „halbe Tage“ nicht gut integriert und akzeptiert werden.

Eine Ärztin aus der Gynäkologie berichtet: „Wenn wir nicht ganze Tage arbeiten, werden wir nicht im OP eingeteilt.“ Die Assistenz- und Fachärzt:innen könnten in der Regel erst gegen Mittag mit ihren Operationen beginnen, da morgens der Chef seine Eingriffe ansetzt. Im zweiten verfügbaren OP-Saal würden am Vormittag die Oberärzt:innen Tumoren operieren. „Wir müssen uns dem System anpassen, um die Möglichkeit zu haben, weiter zu operieren“, berichtet die Gynäkologin. Das Problem sei die Kinderbetreuung. Sie ist gegen Abend, wenn die OPs für Ärzt:innen in der Weiterbildung weitergehen, oft nicht mehr verfügbar. Doch die Alternative ist: nicht operieren und mit der Weiterbildung nicht fertig zu werden.

Jetzt von Vorbildern lernen
Ärztin 2020? Auch 2020 müssen Arbeitszeitmodelle optimiert werden – und neue Lösungen sind erst noch zu etablieren. Insbesondere ist es wichtig zu gewährleisten, dass auch mit einer Teilzeitstelle die Weiterbildung absolviert werden kann. Dazu ist der Austausch von persönlichen Erfahrungen aus unterschiedlichen Fachbereichen und Kliniken nötig. Es gilt, voneinander zu lernen. Lösungsvorschläge aus gut funktionierenden Abteilungen könnten auf andere übertragen werden. Insbesondere über die Berufspolitik sollte der Druck auf die Arbeitgeberseite erhöht werden, Nachteile durch eine Schwangerschaft und Teilzeitarbeit zu kompensieren und Arbeitszeitmodelle flexibler zu gestalten – für Frauen und Männer.

Dr. med. Linda Meyer (33) ist Schatzmeisterin des Jungen Forums im DÄB. Sie hat 2013 promoviert und ist seit 2014 in der Weiterbildung zur Neurologin – derzeit in der Psychiatrie des Alexius/Josef Krankenhauses in Neuss.

E-Mail: lindameyer1212@gmail.com
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