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Ärztin, Forscherin und Mutter – Chaos oder Chance?

Was bietet der Weg als Clinician Scientist für Ärztinnen konkret? Ein Erfahrungsbericht.

Morgens, 5:30 Uhr. Das einjährige Kind hat eine schlechte Nacht hinter sich, es brütet was aus. Fieber oder Durchfall hat es nicht, aber die Vorstellung, es heute in die KiTa zu bringen, fühlt sich nicht gut an ... Ich klappe den Laptop auf, schreibe „heute im Home Office“ und setze mich an die Arbeit, bis das Kind sich meldet. Eigentlich bin ich Anästhesistin, ein Job, der sich kaum mit Home Office verbinden lässt. Aktuell aber Clinician Scientist.

Anreize fehlen oft


Seit Jahren wird der sinkende Anteil forschender Ärzt:innen beklagt. Die Gründe hierfür sind vielseitig: Die klinische Belastung nimmt immer weiter zu, in vielen Bereichen ist eine Feierabendforschung gar nicht möglich – und die Work-Life-Balance kippt rasch. Darüber hinaus fehlen oft die Anreize, sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die Karriere: Wissenschaftliche Tätigkeit wird selbst an vielen Universitätskliniken nicht mehr vorausgesetzt. Im Gegenteil fürchten viele Ärzt:innen eher, klinisch ausgebremst zu werden.

Besonders schlägt sich dieser Trend bei Frauen nieder. Ihr Anteil nimmt ab, je weiter es die wissenschaftliche Leiter nach oben geht. Diese „leaky pipeline“ verzeichnet ihr größtes Leck zwischen den Stationen „Promotion“ und „Habilitation“. Also meist zwischen 30 und 40, in der Phase der Weiterbildung – und der Familienplanung. Der weitere Verlauf zeigt, dass, wer einmal die Hürde Habilitation genommen hat, häufig weiter Richtung Professur beziehungsweise Ordinariat strebt. Clinician-Scientist-Programme wurden entwickelt, um der sinkenden Forschungstätigkeit entgegenzuwirken (siehe auch Seite 10). Die klassische Vorstellung der „forschenden Ärztin“ sollte in ein Konzept jenseits von Selbstausbeutung und Feierabendforschung überführt werden. Das Konzept wurde rasch populär. Ziel ist meist die Habilitation. Besonders auffällig ist der Anteil an weiblichen Clinician Scientists. Neben der expliziten Förderung von Frauen findet sich eine Erklärung sicher auch in der besonderen Attraktivität gerade für Mütter: Der besondere Charme des Clinician Scientist liegt in der Flexibilität, die wir sonst in unserem Beruf nur selten haben. Flexibilität, die man gerade als junge berufstätige Mutter dringend benötigt. Während die klinische Tätigkeit häufig nur in drastischer Teilzeit möglich ist, kann durch die Hinwendung zur Wissenschaft aus einem scheinbaren Nachteil der Grundstein für die weitere Karriere werden. Außerdem ermöglicht die Forschung eine ganz andere Freiheit, nicht nur zeitlich, sondern auch des krea­tiven Denkens, für die im eng getakteten und durchstruktu­ierten klinischen Alltag sonst meist kein Raum bleibt.

Sicherlich bedeutet Forschung zunächst erst einmal Abstriche in klinischen Belangen: Die Arbeit mit Patienten stockt, andere Kollegen kommen in dieser Zeit klinisch vielleicht weiter. Allerdings sähe die Situation als „Teilzeit-Mutti“ wohl ähnlich aus. Außerdem muss man das für viele Frauen Unangenehme tun: sich zu seinem wissenschaftlichen – und beruflichen – Ehrgeiz bekennen. Fazit: Der Clinician Scientist bietet die Möglichkeit, aus einer großen Herausforderung als Mutter erfolgreich wieder einzusteigen, eine große Chance zu formen und eröffnet neue Horizonte.

Dr. med. Ann-Kristin Reinhold ist derzeit Clinician Scientist der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Uniklinikum Würzburg.

E-Mail: reinhold_a@ukw.de
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