„Dieses Tempo konnten wir nur zusammen erreichen“

Topsharing in der Universitätsmedizin: Prof. Dr. med. Ildikó Gágyor (links) und Prof. Dr. med. Anne Simmenroth haben den Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der Uni Würzburg gemeinsam aufgebaut und führen ihn zusammen weiter.
Sie kennen sich aus Studienzeiten, haben später mehrere Jahre zusammengearbeitet, haben gemeinsam ihr Konzept entwickelt und stehen auch jetzt, nach 6 Jahren, für gemeinsame Verantwortung. Was muss passen, damit Topsharing funktioniert?

Gágyor: Topsharing ist nicht in erster Linie ein Teilzeitmodell und es ist keine Frauensache. Topsharing steht für eine bestimmte Art, Führungsaufgaben anzugehen. Es ist anders als der streng hierarchische Ansatz, der gerade in der Medizin noch weit verbreitet ist. Es ist in jeder Konstellation vorstellbar: nur mit Frauen, nur mit Männern, mit gemischten Führungsteams, mit zwei oder auch mehr Menschen. Wir sind überzeugt: Diesen Gedanken muss man mutig auf sich wirken lassen, dann eröffnen sich verschiedene Wege, auf denen Topsharing-Modelle funktionieren.

Wie bewerten Sie die Situation in der Universitätsmedizin?

Simmenroth: Wir werden beide häufiger eingeladen, von unseren Erfahrungen zu berichten. Akademische Gremien, Fachgesellschaften oder auch Frauenbeauftrage fragen uns an.

Außerdem haben wir auch schon einige Kolleginnen persönlich beraten, die so ein Modell für sich in Erwägung ziehen. Insofern können wir sagen: Das Interesse wächst. Wir haben jedoch den Eindruck, dass die Veränderung in medizinischen Einrichtungen außerhalb der Universitäten etwas schneller verläuft als im akademischen Bereich. Und innerhalb der Universitäten verändern sich beispielsweise einige Geisteswissenschaften zügiger als die Medizin. Da besteht Nachholbedarf.

Wie könnte die Universitätsmedizin konkret profitieren?

Simmenroth: In Deutschland verfolgen wir immer noch überwiegend die Vorstellung, dass zum Beispiel ein Professor für Herzchirurgie alles gleich gut können muss. Er ist brillant in der Lehre, in der Forschung und natürlich ein exzellenter Operateur und Kliniker. Das ist unrealistisch. In einigen Ländern existieren andere Lösungen. Gesonderte Professuren für Lehre, Forschung und Klinik sind üblicher. Und dabei sind alle gleich angesehen. Topsharing folgt ebenfalls der Strategie, dass man nicht alles alleine bewältigen muss. Das hat Vorteile.

Gágyor: Wir zeigen hier in Würzburg, wie gut und schnell sich ein Institut entwickelt, wenn mehrere Köpfe mitdenken. Da kommt mehr heraus als die Summe.

Können Sie das erläutern?

Gágyor: Jede von uns hat ihre Schwerpunkte. Meine liegen überwiegend auf der klinischen Forschung, Anne Simmenroths vor allem auf der Lehre. Wir erledigen viele Dinge unabhängig voneinander und halten uns dabei gerade so weit auf dem Laufenden, wie es nötig ist, um sich zu vertreten. Zugleich entscheiden wir über Projekte zusammen, die für die Entwicklung des Instituts sehr wichtig sind, etwa für die Eigenwerbung von Drittmitteln und das Personal. Für solche Planungen wenden wir – wegen unserer Absprachen – formal vermutlich mehr Zeit auf, als eine einzelne Führungskraft es tun würde. Dafür durchdenken wir die Dinge zusammen genauer, als eine oder einer allein es könnte. Schon im ersten Entwicklungsschritt generieren wir damit meist bessere Ergebnisse und müssen weniger nachjustieren.

Simmenroth: Bewährt hat sich auch unsere Methode, schwierige Entscheidungen stets gleichberechtigt zusammen zu treffen. Das gibt einem eine größere Sicherheit. Wir sind überzeugt, dass die Doppelspitze entscheidend dazu beigetragen hat, dass wir in Würzburg nach sechs Jahren ein großes und leistungsfähiges Institut für Allgemeinmedizin leiten. Es ist in alle Richtungen ausgebaut. Wir haben ein Netz mit mehr als 130 Lehr- und Forschungspraxen in und um Würzburg. Wir beteiligen uns an interdisziplinären Projekten innerhalb der medizinischen Fakultät. Wir sind auf nationaler und internationaler Ebene aktiv, ich zum Beispiel in Gremien, die die neuen Approbationsordnungen vorbereitet haben. Das gelang nur in diesem Tempo, weil wir zu zweit präsenter sein können als eine Person allein.


Verankert sich Topsharing als Führungsmodell allmählich in der Universitätsmedizin?

Simmenroth: In der Allgemeinmedizin sieht man diese Konstellation schon gelegentlich: In Marburg besteht die Institutsleitung derzeit aus zwei Frauen und einem Mann. In Magdeburg gab es eine Weile lang eine Doppelspitze und in Oldenburg war eine Besetzung mit mehreren Personen zumindest im Gespräch.

Gágyor: Bis Vorbilder wirken, dauert es seine Zeit. Wie schon erwähnt, beraten wir Kolleginnen, die Topsharing anstreben. Erst kürzlich hatten wir wieder diesen Fall. Hinzu kommt, dass der Hausärztinnen- und Hausärzteverband nun eine Doppelspitze hat. Das sind Signale, dass Topsharing keine Orchidee ist, die wieder verblüht. Wir halten es für einen Arbeitsmodus, der sehr überlebensfähig ist und stellen fest, dass ihn sich zunehmend mehr Leute zutrauen.

Was bremst Ihrer Meinung nach die Offenheit für Topsharing?

Simmenroth: In unseren Gesprächen mit der Berufungskommission ist uns aufgefallen, dass eine Frage immer wieder kam: Wenn Sie das zu zweit machen, wer trifft dann die Entscheidungen? Wir haben geantwortet: Je nachdem – mal die eine, mal die andere, mal gemeinsam. Das hat einigen nicht gereicht und es wurde insistiert: Aber eine muss doch den Hut aufhaben! Dieses Erlebnis hat uns verdeutlicht, dass Alternativen zum bisherigen Modell in der Medizin für manche Menschen, oft Männer, gar nicht vorstellbar sind. Da braucht es noch einen Wandel.

Wie haben Sie die Entscheidungsfrage nun gelöst?

Gágyor: Wir hatten in unserem Konzept die Ziele des künftigen Instituts für Allgemeinmedizin sehr gut ausgearbeitet und den Plan dann konkret umgesetzt. Insofern waren die großen Bögen gezeichnet, über die wir uns von Anfang an einig waren. Der Rest hat sich entwickelt, wie vermutlich bei allen Projekten, die im Aufbau sind: Was funktioniert, etabliert man, sonst muss man etwas anderes versuchen. Diese prinzipielle Flexibilität bringen wir beide mit. Über die Zeit haben wir festgestellt, dass bestimmte Aufgaben gut bei der anderen ruhen können, ohne permanent den Stand abzugleichen. Entscheidend ist für uns die Mischung aus vielen kurzen, zeitnahen Absprachen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite lassen wir Dinge laufen. Das klappt mittlerweile nahezu schlafwandlerisch.

Simmenroth: Formal legen wir für bestimmte Zeiträume fest, wer wofür zeichnungsberechtigt ist. In vielen Bereichen können wir uns vertreten. Insofern sind die Zuständigkeiten geregelt. Das spielt aber in unserem Alltag keine Rolle. Wir erachten es in der Medizin für wichtig, dass alle Sektoren ineinandergreifen, um gute Ergebnisse zu erzielen. Entsprechend diesem Selbstverständnis leiten wir das Institut.

Haben Sie einen Tipp für Personen, die sich mit einem Top­sharing-Konzept auf einen Lehrstuhl bewerben möchten?

Gágyor: Wir können diese Menschen nur ermuntern, so ein Vorhaben mit der größtmöglichen Offenheit anzugehen, zumal es ja mittlerweile einige Beispiele für Topsharing gibt, auf die man verweisen kann. Wir denken, dass es sinnvoll ist, im Vorfeld der Bewerbung anklingen zu lassen, was man vorhat.

Interview: Alexandra von Knobloch
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