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Femtech – die Hoffnung auf eine gendergerechte Medizin

In der medizinischen Gründer:innen-Szene boomt die Female Technology (Femtech). Es ist ein Hype, der auch Kritik hervorruft. Was bedeutet er für die Gendermedizin?

In der Herzchirurgie wurde mit Hilfe von Robotik ein Katheter entwickelt, der eigenständig durch das blutgefüllte Herz navigiert. In der Gynäkologie wird die Gebärmutter bei einer Ausschabung noch mit einer Kürette penetriert: ein scharfer Metalllöffel, der Blutungen, Gebärmutterhalsschwäche und im schlimmsten Fall die Perforation der Gebärmutter auslösen kann. Innovation? Das ist hier Fehlanzeige. Und das bei einem der häufigsten Eingriffe bei Frauen.

Solche Kontraste ließen sich lange auflisten und sie weisen auf ein Desinter­esse an Weiterentwicklungen im Feld der Frauen­gesundheit hin. Natürlich ist dabei auch das Gender-Data-Gap ein Problem: Ein Großteil der Daten in der medizinischen Forschung stammt von männlichen Probanden. Kein Wunder also, dass zum Beispiel Frauen mit Herzinfarkt häufiger eine Fehldiagnose erhalten als Männer, obwohl chronisch ischämische Herzerkrankungen die häufigste Todesursache bei Frauen sind.

Nur für Fertilität und Periode?

Femtech ist in diesem Umfeld eine noch recht neue Entwicklung. Der Begriff bezeichnet Softwarelösungen oder Technologien, die sich auf die Gesundheit von Frauen fokussieren. Er wurde 2016 von Ida Tin, Gründerin der App Clue, zur Ermittlung der fruchtbaren Tage kreiert. Wegen des momentanen Angebots der Branche gibt es kritische Stimmen, die behaupten, dass sich Femtech zu sehr auf Themen wie Fertilität und Menstrua­tion konzentriert.

Betrachtet man jedoch die nächste Generation von Femtech-Startups, zeigt sich, dass inzwischen zunehmend an­dere Bereiche eine Rolle spielen. Die Firma Bloomer Tech beispielsweise entwickelte einen BH mit integrierten Sensoren zur Überwachung der Herzakti­vität. Die Ergebnisse zeigt eine App an. Der BH ist noch nicht auf dem Markt. Er unterstreicht aber die Themenoffenheit der Branche. Und: Er könnte große Mengen an weiblichen Herzdaten sammeln, die bisher fehlen. Auch Jessie Health stammt aus der Femtech-Branche und bietet eine Plattform, auf der Frauen anhand ihrer Symptome an virtuelle Gesundheitsservices vermittelt werden – weit über gynäkologische oder geburtshilfliche Probleme hinaus.

Diskriminierender Begriff?

Ob Femtech die Gendermedizin tatsächlich verbessern wird, ist zurzeit nicht belegbar. Jedoch kann jede Bewegung in Richtung Frauengesundheit auf das Thema aufmerksam machen und somit auch Investitionen und Förderungen auf sich lenken. Denn Geldgeber sind vor allem Männer und denen mangelt es anscheinend am Interesse für Frauengesundheit. Am Potenzial ändern auch Kontroversen nichts, die sich daran entzünden, dass der Begriff Femtech non-binäre Personen nicht direkt einbezieht und dass es kein „Maletech“ gibt. Dennoch kann die Branche ein Anstoß sein, um Medizin generell fairer zu gestalten, indem sie bisher vernachlässigte Personengruppen vermehrt erforschbar macht. Zudem ist es ein Markt mit Wachstumspotenzial. Er weckt die Hoffnung auf eine größere Datenbasis zum weiblichen Körper, um so Diagnostik und Therapie für Frauen zu verbessern.

Dr. med. Carina Vorisek ist in Deutschland sowie in USA approbierte Medizi­nerin mit einem Master of Science in Clinical Research, welcher zum Teil an der Harvard T.H. Chan School of Public Health erfolgte. Sie war am Boston Child-ren’s Hospital wissenschaftlich tätig, promovierte über die Harvard Medical School und sammelte klinische Erfahrung in Deutschland. In der Core Facility Digitale Medizin und Interoperabilität des Berlin Institute of Health at Charité arbeitet sie am Projekt NFDI4Health und setzt sich für die Anwendung internationaler Standards im Gesundheitssystem sowie Chancengleichheit in der Digitalen Medizin ein.

E-Mail: carina-nina.vorisek@charite.de
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