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Kreativität gefragt: Strukturwandel in der Kinder- und Jugendmedizin

75 Prozent des ärztlichen Nachwuchses in der Pädiatrie sind Frauen. Die Ärztinnen werden angesichts der Herausforderungen in der Kinder- und Jugendmedizin dringend gebraucht. Allerdings sind die Bedingungen für Frauen selbst in diesem Fach noch nicht optimal, stellt die Autorin, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), fest. Am Runden Tisch können alle voneinander lernen.

Die Kinder- und Jugendmedizin betreut die vulnerabelsten Menschen unserer Gesellschaft und ist eines der vielfältigsten Fächer der Medizin. Zudem von zentraler Bedeutung, denn Erkrankungen in den ersten Lebensjahren prägen entscheidend die Entwicklungsprognose des Kindes und legen den Grundstein für lebenslange chronische Gesundheitsprobleme im Erwachsenenalter. Ein befriedigendes und fachlich hochspannendes Fach!

Herausforderung durch Strukturwandel

Und dennoch: Auch die Pädiatrie wird in den nächsten Jahren in besonderem Maße von einem gravierenden Strukturwandel betroffen sein, da es im ärztlichen und auch besonders im pflegerischen Bereich jetzt schon an Nachwuchs mangelt – und das angesichts von wieder angestiegenen Geburtenraten und einer deutlichen Zunahme chronischer somatischer (wie Adiposi­tas) und psychosomatischer Erkrankungen im Kindesalter. Zur Sicherung der Zukunft der Pädiatrie ist zudem das politische Bekenntnis zu einer auskömmlichen Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung von Kindern unabdingbar.

Die Pädiatrie zeigt auch hinsichtlich ihrer ärztlich Tätigen Besonderheiten auf: In Deutschland sind 65 Prozent der Medizinstudierenden weiblich, Tendenz steigend. Sogar 75 Prozent beträgt der Frauenanteil bei denjenigen, die gerade in der Pädiatrie beginnen. Es mangelt also eher an männlichen Kollegen zur Sicherstellung der Geschlechterausgewogenheit im Team! Vergleichbar mit anderen Fächern sind trotzdem auch hier in den Führungsetagen Frauen weiterhin unterrepräsentiert, und die Möglichkeiten, Familie und Karriere in Einklang zu bringen, haben noch keine lange Geschichte.

Problem CMV

In zunehmendem Maße besteht heute der Wunsch nach Teilzeitarbeit im Angestelltenverhältnis; schon während der fachärztlichen Weiterbildung, aber auch in leitenden Positionen und in der ambulanten Versorgung. Durch die Unterfinanzierung der Kinderkliniken sind die Personaldecken ohnehin dünn und besondere Vorgaben erschweren nicht nur die Patientenversorgung, sondern auch die zeitnahe fachärztliche Ausbildung künftiger Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte für Klinik und Praxis: Da sich beispielsweise bei CMV-negativen Schwangeren im Arbeitsalltag der Kontakt zu jüngeren Kindern nicht vermeiden lässt, bleibt oft nur das Berufsverbot mit Unterbrechung der Weiterbildung. Meist ist es schwierig, Stellen sofort nachzubesetzen, da geeignete Mitarbeitende erst gefunden und von den Klinikverwaltungen eingestellt werden müssen. Zur Sicherstellung der zunehmend herausfordernden Patientenversorgung, der Organisation von familienkompatiblen Arbeitsabläufen sowie der Gewährleistung der Weiterbildung ist kreatives Umdenken notwendig:
  • In den Kliniken gilt es, traditionelle Dienstmodelle, Visiten- und Sprechstundenzeiten und -Modalitäten, etwa Videosprechstunden, auf den Prüfstand zu stellen und in den einzelnen Teams die passenden Konzepte zu entwickeln. Besprechungen gehören in die Kernarbeitszeit und deren Anzahl überprüft. Mehr Mitarbeitende in Teilzeit, bis hin in die Leitungsfunktionen, bedeuten nicht nur erhöhte Kapazitäten für die Dienstbesetzung, sondern auch mehr kreative Köpfe.
  • Jobsharingmodelle bergen die Gefahr des Informationsverlustes, hier erleichtern strukturierte Übergabekonzepte und flexiblere Arbeitszeitmodelle das Arbeiten.
  • Der Einsatz von Physician Assistants bietet auch für konservative medizinische Fächer wie die Pädiatrie Perspektiven.
  • Textbausteine, automatisierte Arztbriefschreibung, KI-basierte innovative Technologien, Videokonsile und Aufbau von Klinikverbünden sind hier mitzudenken.
  • Die Einrichtung von sicheren Zugängen zum Krankenhausinformationssystem kann gegebenenfalls bürokratische Tätigkeiten aus dem Homeoffice ermöglichen.
  • Bei einer kontinuierlichen Zunahme des bürokratischen ärztlichen Aufwands müssen Aufgaben an Berufsgruppen mit Verwaltungshintergrund delegiert werden, beispielsweise das Telefonieren nach Befunden.
  • Um die notwendige Entwicklung innovativer Behandlungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu sichern, ist ein frühes Aufzeigen möglicher Karrierewege, etwa als Clinician Scientist, für Interessierte beider Geschlechter unabdingbar. Eine wissenschaftliche Tätigkeit lässt sich aufgrund höherer Freiheiten bei der Arbeitseinteilung oft wider Erwarten gut mit Einsatz während Schwangerschaft und Betreuungszeiten kombinieren.
Wir müssen uns die bevorstehenden notwendigen Umstrukturierungsprozesse vor Augen halten und abgestimmt auf die regionalen Bedürfnisse gestalten. Dabei können und müssen wir voneinander lernen und uns – wie zum Beispiel beim Runden Tisch-Projekt des Ärztinnenbunds – austauschen über innovative Ansätze, erfolgreiche Modelle und frische Ideen für eine zeitgemäße und bedarfsgerechte Gestaltung der Arbeitssituation im medizinischen und wissenschaftlichen Bereich.

Prof. Dr. med. Ursula Felderhoff-Müser ist Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde I am Universitätsklinikum Essen und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ).

E-Mail: presse@dgkj.de
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