Foto: © O. Hartmann

Smart Hospital: Schlagwort oder Zukunftsmedizin?

Wichtig für das Gelingen von digitaler Transformation ist vor allem die interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Beispiele aus dem Universitätsklinikum Essen zeigen, was schon möglich ist.

Als ich 1998 als Assistenzärztin in der Radiologie anfing zu arbeiten, musste ich an jedem Arbeitstag un­gefähr zwei Stunden für Fährtensuche und Jagd einplanen. Keine Sorge: Sie lesen den richtigen Artikel und ich berichte nicht über Freizeitaktivitäten!

Vor Einführung der Picture Archiving Systeme (PACS) wurde jegliche Art von Aufnahmen (Röntgen, Computertomografie, Kernspintomografie, ...) auf Filmen ausgedruckt und in spärlich beschriftete, große Röntgentüten gesteckt. Die Bilder waren selten an der korrekten Stelle zu finden. Daher verbrachten die Assistenzärzt:innen viel Zeit mit Fährtensuche: in anderen Röntgentüten desselben Patienten oder derselben Patientin, in den Tüten potenzieller Bettnachbarn, auf verschiedenen Stationen, in Archivwägen, an Alternatoren oder an einem der Lichtmonitore in Stations- oder Dienstzimmern sowie auf Konsiliarstationen. Die Suchmöglichkeiten waren schier unendlich.

KI macht es spannend

Den jüngeren Leser:innen scheint dies vermutlich befremdlich, denn die zentrale Speicherung und der dezentrale Abruf von Aufnahmen aus der Radiologie ist heutzutage normal. Am Universitätsklinikum Essen bietet ein FHIR-basierter Datalake darüber hinaus eine Reihe von Anwendungen wie die Anzeige relevanter Laborwerte bei angemeldeten Kontrastmitteluntersuchungen, quantitative Auswertungen beispielsweise von Tumorgrößen, Gewebedifferenzierungen oder Unterstützung bei der Bestimmung des Alters durch Auswertungen von Röntgen­aufnahmen der Hand. Aber nicht nur die synchrone Anzeige von Daten aus Subsystemen wie beim Patienten-Dashboard oder die effiziente, automatische Auswertung beziehungsweise Dokumentation bringen Arbeitserleichterungen: Richtig spannend wird es bei der Auswertung von Daten aus multiplen Datenquellen mittels Künstlicher Intelligenz (KI).

So lassen sich Algorithmen, die Metadaten aus der Radiologie mit Laborbefunden und klinischen Verlaufsdaten kombinieren, beispielsweise zur Prognoseeinschätzung heranziehen. Durch die enge Zusammenarbeit der Wissenschaftler:innen und Mediziner:innen werden so KI-Anwendungen entwickelt und getestet – was selbstverständlich die leitlinienkonforme Befundung durch die Radiolog:innen nicht ersetzt, sondern nur effizient unterstützt.

Ortsunabhängige Medizin

Durch Digitalisierung und Integration von Spitzentechnologie ergeben sich auch Möglichkeiten, den Durchführungs-, Planungs- und Bewertungsort von Untersuchungen zu trennen. Am Universitätsklinikum Essen werden beispielsweise zentral am virtuellen Cockpit MRT-Aufnahmen geplant, die dann an weiteren Standorten der Universitätsmedizin Essen gemacht werden. Auch können (in Diensten oder bei Teilzeit-
tätigkeit) radiologische Befundungen dezentral von anderen Arbeitsplätzen erfolgen – bei entsprechender Ausrüstung auch von zu Hause. Das begünstigt beispielsweise die Verein- barkeit von Familie und Beruf und war ohne Digitalisierung, wie früher während meiner eigenen Elternzeit, undenkbar.

Wichtig für das Gelingen von digitaler Transformation ist vor allem die interdisziplinäre Zusammenarbeit, denn jede Berufsgruppe hat ihre Expertise und nur durch Zusammenarbeit auf Augenhöhe können innovative Digitalisierungsmöglichkeiten zum Nutzen der Patient:innen und auch zum Nutzen der Mit­arbeiter:innen eingesetzt werden.

Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft

Ja, um viele Details der Digitalisierung ringen wir immer noch. Noch fehlt oft die Integration von Subsystemen oder es mangelt an der Interoperabilität. Das führt dazu, dass wir die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung in der Medizin noch nicht richtig nutzen können. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen. Aber Zeitersparnis bei digitalen Prozessen, Clinical Decision Support oder Beispielanwendungen der KI sind keine Seltenheit mehr, sondern ermöglichen neue Prozesse und begünstigen den digitalen Kulturwandel auch in der Medizin.

Weniger Stress für Kranke


Symptomtagebuch und Kontakt zur Klinik: App der Universitätsmedizin Essen
Foto: privat
Hier weitere Beispiele: Im Sommer 2020 wurde am Universitätsklinikum Essen die erste Applikation des Patientenportals fertiggestellt. Es ist eine App, mit der sich COVID-19-Patient:innen nicht nur über die Erkrankung und etwaige Ko­morbiditäten informieren können. Nach der Entlassung können sie zudem Befunde (wie die Körpertemperatur) und Fragebögen von zu Hause aus eingeben oder die Klinik über eine Chatfunk­tion kontaktieren. Derzeit setzen wir als weitere Anwendungen eine Patient:innen- App für Kinder und einen Prozess zur digitalen Aufnahme von Patient:innen von zu Hause um. Ab 2022 können Erkrankte bereits zu Hause über das Portal den Behandlungsvertrag bearbeiten, Informa­tionen sichten und die entsprechenden Aufklärungen zusammen mit dem Klinikpersonal, etwa per Video, besprechen – selbstverständlich personalisiert und datengeschützt.

Unser Ziel sind besser informierte Patient:innen, die in ihrem vertrauten Umfeld – ohne den Stress der üblichen Umgebung in einer Krankenhausaufnahme – in ihrer eigenen Zeit Dokumente lesen, Videos ansehen, Fragen vorbereiten und nach persönlichem Gespräch auch informierte Einwilligungen geben können.

KI-Großprojekt unter weiblicher Führung

Einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zur smarten Digitalisierung markiert das Konsortialprojekt SmartHospital.NRW. Es wird als Spitzencluster für KI in der Medizin über fünf Jahre nicht nur drei für die Medizin relevante KI-Use-Cases er­forschen, sondern vor allem die notwendige Transformation der Krankenhäuser. Gesundheitsdatenanalyse, semi-automatisierte Arztbrieferstellung und Sprach- und Dialogsysteme werden für Patient:innen ebenso wie für die ärztlichen Arbeitsplätze in die Prozesslandschaft der Kliniken durch passgenaue Change-Modelle eingebettet.

Eine Leitlinie für die Transformation, die Erhebung von Qualifi­zierungsbedarfen bei den Mitarbeitenden, Readiness-Checks und vieles mehr dienen zudem dazu, den Einfluss und optimalen Einsatz von KI-Spitzentechnologien in der Krankenhausmedizin zu untersuchen. Unter der Konsortialführung des Universitätsklinikums Essen forschen sechs weitere Partner – zwei Fraunhofer Institute, zwei KMUs (Kleine Mittelständische Unternehmen) und zwei weitere Universitäten. Es ist das bisher größte Fördervolumen für KI und Digitalisierung in der Medizin, welches von einer Frau geleitet wird und es wird mir ein besonderes Anliegen sein, dabei genderspezi­fische Aspekte weiter zu erforschen.

Chancen für Frauen

Digital Health, eHealth, Telemedizin und KI bringen für die Medizin viele Neuerungen, aber in erster Linie auch Chancen, um die gesundheitliche Versorgung der im normalen Alltag erlebten Digitalisierung und zunehmenden Digitalkultur an- zupassen. Ja, es ist noch sehr viel zu tun. Und gerade als Ärztinnen müssen wir auf etwaige Gen­derunterschiede bei Digitalisierungskonzeption und -anwendung genauso wie bei Entwicklungen von KI in der Medizin achten – so wie in der medizinischen Forschung überhaupt stärker auf Genderunterschiede geachtet werden muss.

Insofern freue ich mich, dass zunehmend mehr Kolleginnen dabei aktive Rollen übernehmen und einen positiven Einfluss auf den Kulturwandel und auch auf das Selbstbewusstsein von Ärztinnen innerhalb des Technikfokus haben. Nicht zuletzt liegt es in unserer Hand, den Wandel mitzubestimmen, auch wenn es in der reinen Technikdomäne, etwa der Informatik, immer noch wenige Frauen gibt. Aber auch ohne Programmierwissen können wir maßgeblich den medizinischen Einsatz von Digitalisierung und KI beeinflussen: Schließlich muss man auch kein Kraftfahrzeugmechatroniker/-mechatronikerin sein, um ein Auto unter Einhaltung der Verkehrsregeln zu fahren und mit einem guten Fahrstil zu einem positiven Miteinander beizutragen.

Dr. med. Anke Diehl, M.A., ist Chief Transformation Officerin der Universitätsmedizin Essen und Leiterin der Stabsstelle Digitale Tranformation. Die Ärztin mit einem Master in Medizin-Management ist Expertin für Digital Health und Konsortialführerin des Spitzenclusters KI „SmartHospital.NRW“. Weitere Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind Gendermedizin, Versorgungs­forschung, eHealth und Patient:innenorientierung

E-Mail: anke.diehl@uk-essen.de
Mehr zum Thema