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Vertraulichkeit: Conditio sine qua non

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens stellt einige Bedingungen, damit sie gelingen kann. Viele denken dabei an einen bestimmten erlebten Nutzen, den die Digitalisierung des Gesundheitswesens uns allen gegenüber bringen muss: Vereinfachung der Behandlung durch elektronische Medikationspläne etwa oder die Möglichkeit zur besseren medizinischen Forschung mit großen Datenmengen. All das soll am besten besonders einfach und nutzungsfreundlich sein. Ohne den persönlich erlebten Nutzen scheint eine Gelingensbedingung der Digitalisierung nicht gegeben. Oftmals verdrängen wir dabei allzu schnell, dass das Gelingen der Digitalisierung auch an andere Bedingungen gebunden ist. Nicht immer sind diese sofort wahrnehmbar. Eine weitere Gelingensbedingung rückt oftmals erst dann in den Fokus, wenn etwas schiefläuft: das Vertrauen in die Sicherheit der
eigenen persönlichen Daten.

In einem digitalen Gesundheitswesen ist die Sicherheit der intimsten persönlichen Gesundheitsdaten Basis einer jeden Vertrauensbeziehung, die ich als Patientin im digitalen Raum aufbaue. Das ist ähnlich wie bei Behandlungen in der echten Praxis: Patientinnen und Patienten, die keine Vertrauensbeziehung zu ihren Behandelnden aufbauen können, werden sich wahrscheinlich zweimal überlegen, ob sie eine Therapie wirklich beginnen wollen oder dort fortsetzen.

Vertraulichkeit ist also eine Conditio sine qua non: eine unabdingbare Voraussetzung, damit Digitalisierung im Gesundheitswesen gelingen kann. Sie ist nicht nur wichtig für Frauen im Allgemeinen. Sie ist wichtig für Frauen, die trans oder inter sind, für nicht weiße Frauen, für Frauen mit unerfüllten Kinderwünschen, für Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche haben durchführen lassen, aber auch für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Vertraulichkeit ist nicht nur wichtig für Frauen. Bestimmte Krankheiten werden in unserer Welt stigmatisiert oder diskriminiert. Das kann auch weiße Männer, die nach wie vor die medizinische Norm darstellen, treffen – etwa im Falle von Impotenz. Als betroffene Person werde ich dabei wegen bestimmter Krankheiten diskriminiert und bin dem abwertenden Urteil der Umwelt ausgesetzt. Ab dem Verlust der Vertraulichkeit meiner Daten habe ich keine Kontrolle mehr darüber, wie ich von Mitmenschen im wahrsten Sinne des Wortes behandelt werde.

Der Weg zur individuellen Vertraulichkeit im digitalen Gesundheitswesen ist möglich, auch wenn es oftmals kein leichter ist. Vertraulichkeit im Digitalen wird durch sinnvolle Konzepte im Bereich der IT-Sicherheit und des Datenschutzes ermöglicht. IT-Sicherheit und Datenschutz sind in Deutschland oftmals nicht besonders beliebt. Sie haben selbst die Aufgabe, nahbar und nutzbar zu werden. Das war in den letzten Jahren nicht immer der Fall – so viel muss fairerweise anerkannt werden.

Im Dezember 2024 haben Martin Tschirsich und ich darauf hingewiesen, dass es in der elektronischen Patientenakte (ePA) erhebliche Sicherheitslücken gibt, die es Außenstehenden ermöglichen, auf Daten zuzugreifen. Eine Vertraulichkeit ist so nicht gewährt, eine Gelingensbedingung für Digitalisierung im Gesundheitswesen ist nicht vorhanden. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass diese Vertraulichkeit auf digitaler Ebene möglich wird, auch wenn das an ein paar Stellen noch Arbeit bedeutet. Diskussionen helfen nicht: Vertraulichkeit muss es auch im Digitalen geben – sine qua non.

Bianca Kastl, Entwicklerin und IT-Spezialistin, aktiv im Umfeld des Chaos Computer Club, beschäftigt sich seit längerem beruflich und zivilgesellschaftlich mit digitalen Infrastrukturen und ihren Technikfolgen im Bereich öffentliche Verwaltung und Gesundheitswesen.

E-Mail: bianca.kastl@inoeg.de
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