Familienfreundliche Arbeitsplatzgestaltung - Gewinn für das Krankenhaus, die PatientInnen und die Gesellschaft

Abstract Dr. Astrid Bühren zu ihrem Referat beim Hauptstadtkongress

Artikel
27.06.2007
Die Diskussion über eine zeitgemäße Work-Life-Balance im ärztlichen Beruf und speziell über familienfreundliche Arbeitsbedingungen ist nicht mehr als optional, sondern als Not – wendig anzusehen.
In der Sitzung werden verschiedene Umfrageergebnisse und Lösungsvorschläge vorgestellt.

Umfrage des Deutschen Ärztinnenbundes an allen deutschen Krankenhäusern zu betriebseigenen Kinderbetreuungseinrichtungen

Zur Erhebung von Basisdaten zur Kinderbetreuungssituation führte der Deutsche Ärztinnenbund 2005/2006 eine Fragebogenerhebung an den deutschen Krankenhäusern durch. Gefragt wurde nach Betreuungsmöglichkeiten für Kinder der Altersgruppen von null bis zehn Jahren, die Ärztinnen und Ärzte in Anspruch nehmen können, nach familienfreundlichen Angeboten, wie Hausaufgabenbetreuung, Mittagstisch, und nach flexiblen Arbeitszeitmodellen.

Bundesweit wurden 2 222 Fragebogen verschickt. Bei ausbleibender Antwort wurde der Fragebogen nach einem Monat ein zweites Mal an das Krankenhaus versandt. Dem Deutschen Ärztinnenbund liegen 721 Antwortbogen vor, was einer Rücklaufquote von 32,45 Prozent entspricht. 107 Kliniken geben an, über eigene Kinderbetreuungsangebote zu verfügen – 70 davon mit zum Teil langen Wartelisten. Der Anteil der Kliniken mit eigener Kinderbetreuung beträgt demnach rund 15 Prozent. In der Realität dürfte der Anteil der Häuser mit Kinderbetreuung aber noch deutlich niedriger liegen. Dies lässt sich daraus schließen, dass bei dem Rücklauf auf die zweite Aussendung des Fragebogens kaum noch Kliniken vertreten waren, die über eine Kinderbetreuung verfügen. Man kann davon ausgehen, dass sich unter den 1 501 Krankenhäusern, die den Fragebogen nicht beantwortet haben, nur noch relativ wenige Häuser befinden, die familienfreundliche Angebote für Ärztinnen und Ärzte vorhalten.

Bezüglich der Altersgruppen der Kinder, für die Betreuung angeboten wird, fällt Folgendes auf: Bundesweit geben 97 Kliniken an, drei- bis sechsjährige Kinder zu betreuen. 84 Häuser versorgen Kleinkinder im Alter von null bis drei Jahren – aber nur 36 Krankenhäuser bieten ein Betreuungsangebot für Kinder im schulpflichtigen Alter von sechs bis zehn Jahren.

Von den 36 deutschen Universitätsklinika haben sich 25 an der Befragung beteiligt. Davon verfügen 16 Häuser über eigene Kinderbetreuungsangebote (14 davon mit Wartelisten), wohingegen neun Kliniken keine solchen Angebote haben. Die Angebote zur Betreuung richten sich auch hier vor allem an die Kinder im Säuglings- oder Kleinkindalter. So bieten 15 Universitätsklinika Betreuung für die Gruppe der null- bis dreijährigen und alle 16 Häuser eine Betreuung für drei- bis sechsjährige Kinder an. Aber nur sieben Universitätsklinika verfügen auch über Angebote für schulpflichtige Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren (Tübingen, Hamburg, Gießen, Göttingen, Bonn, Essen und Köln). Lediglich das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das Klinikum der Universität Köln, das Universitätsklinikum Magdeburg sowie das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (Standort Gießen) bieten Hausaufgabenbetreuung an. In 20 Universitätsklinika sind flexible Arbeitszeitmodelle gewährleistet, während drei Einrichtungen (Klinikum der Universität Würzburg, Universitätsklinikum Magdeburg, Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main) nach eigenen Angaben keine flexiblen Arbeitszeitmodelle anbieten.

Betrachtet man die Krankenhäuser nach der Anzahl der Betten, so wird deutlich, dass vor allem die großen Häuser mit 600 oder mehr Betten Kinderbetreuung anbieten, gefolgt von der Gruppe der kleinen Krankenhäuser mit weniger als 300 Betten, die häufig im Verbund Kinderbetreuung vorhalten. Bei den sonstigen familienfreundlichen Angeboten wie flexible Arbeitszeitmodelle, Mittagstisch oder Hausaufgabenbetreuung wird deutlich, dass die kleinen Häuser mit geringer Bettenzahl seltener solche Angebote anbieten als die mittleren und großen Häuser.

Personalwechsel und Ausfallzeiten werden vermieden.
In den Fragebogen wird der Verzicht auf Kinderbetreuungsmöglichkeiten häufig damit begründet, dass dies aus finanziellen Gründen nicht möglich sei beziehungsweise sich finanziell nicht lohnen würde.

Kosten-Nutzen-Analyse für eine klinikeigene Kindertagesstätte - wichtiger Baustein für größere Arbeitszufriedenheit

Die klinikeigene Kindertagesstätte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau hat bereits seit 1977 eine Kindertagesstätte, in der Kinder von ärztlichen und anderen Beschäftigten ab der achten Lebenswoche bis zum zehnten Lebensjahr betreut werden können – und zwar zwischen 5.30 Uhr und 21.30 Uhr täglich und an 365 Tagen im Jahr. Auch im Krankheitsfall können die Kinder in der Einrichtung untergebracht werden. Solche Beispiele sind in der deutschen Kliniklandschaft die Ausnahme, wie eine Umfrage des Deutschen Ärztinnenbundes (1) ergab. Die Universität Halle stellt ihr eigenes Modell auch vor.

In einer Kosten-Nutzen-Berechnung anhand einer Studie, die das Bundesfamilienministerium zur Verfügung stellte, hat die Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau das jährliche Einsparpotenzial den tatsächlichen Kosten der familienfreundlichen Maßnahmen gegenübergestellt, die von der Klinik-Homepage heruntergeladen werden kann. Dabei wurden die monetär bewerteten Nutzenzuwächse der familienfreundlichen Maßnahmen für den Arbeitgeber mit den Kosten der Maßnahmen saldiert. Für das Jahr 2004 ergab sich eine Kosten-Nutzen-Differenz von plus 82 804 Euro. Diese Differenz kann als Gewinn für das Unternehmen interpretiert werden (2).
Der Verwaltungsdirektor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau, Erwin Kinateder, hat in Bezug auf die Kosten-Nutzen-Bewertung der Kinderbetreuung einen festen Standpunkt: „Unsere Einrichtung braucht einen Personalstamm, der fachlich sattelfest, hoch motiviert, schnell greifbar und bei hohem Notfallaufkommen bereit ist, auch außerhalb der Dienstzeit einzuspringen. Um dies zu sichern, spielt unsere hauseigene Kindertagesstätte mit Öffnungszeiten an 365 Tagen im Jahr von 5.30 Uhr morgens bis 21.30 Uhr abends eine zentrale Rolle.“

Kinderbetreuung als Wettbewerbsvorteil bei Wahl der Weiterbildungsstätte

Wie wichtig das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Medizinstudierende und junge Ärztinnen und Ärzte ist, zeigt eine Online-Umfrage der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland aus dem Jahr 2005. Diese Umfrage ergab, dass sich von 3 600 Befragten 86 Prozent Kinder wünschen. Allerdings hielten es 79 Prozent für schwierig oder sehr schwierig, ihren Kinderwunsch mit dem ärztlichen Beruf zu vereinbaren. Die Positionierung als attraktiver Arbeitgeber wird deshalb zukünftig auch von Angeboten zur Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bestimmt werden (3). Die gilt besonders vor dem Hintergrund des stetig steigenden Frauenanteils bei den Berufsanfängern (4). Aber auch für junge Ärzte nehmen Fragen der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie Fragen der „Work-Life-Balance“ an Bedeutung zu, denn immer häufiger streben sie gemeinsam mit ihren beruflich ebenso hoch qualifizierten Lebenspartnerinnen eine gleichberechtigte Aufgabenteilung in Beruf und Familie an. Dies zeigen auch die Ergebnisse eines Gutachtens im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung zum „Ausstieg aus der kurativen ärztlichen Berufstätigkeit in Deutschland“ (5). Deshalb bietet der Deutsche Ärztinnenbund auf seinen Internetseiten (www.aerztinnenbund.de) unter dem Stichwort „Kinderbetreuung“ eine Auflistung der Kliniken mit Kinderbetreuung an.

Familienfreundlichkeit auch in Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärztekammern und bei Fortbildungen

Die KV-Bayern hat für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für Niedergelassene eine qualitätsorientierte Kinderbetreuung eingerichtet. In der Landesärztekammer und in der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein-Westfalen ist im gemeinsamen Ärztehaus eine Kinderbetreuung für Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Fortbildungen, Prüfungen etc. eingerichtet worden. Während des Deutschen Ärztetages und z.B. des Internistenkongresses wird eine Kinderbetreuung angeboten, aber z.B. während des Chirurgenkongresses nicht.

Familienorientierung auch bei Ärzten akzeptieren


Es ist wichtig, dass die Akzeptanz für familienfreundliche Arbeitszeiten auch für Männer in der Medizin steigt. Noch zu oft trauen sich junge Ärzte nicht, Elternzeit zu beantragen. Wenn dieses Bedürfnis zukünftig nicht selbstverständlicher akzeptiert werden wird, wird es zu einem noch größeren Mangel an Ärztinnen und Ärzten kommen, als wir ihn heute schon registrieren. Junge Ärztinnen und Ärzte werden sich zunehmend für alternative Tätigkeitsfelder entscheiden oder ins Ausland gehen, wo bessere Arbeits- und Vereinbarkeitsbedingungen von Beruf und Familie herrschen als in Deutschland.

Professionelle Kompetenzen wertschätzen

Die ärztlichen Kompetenzen können am effektivsten für die Patientinnen und Patienten erbracht werden, wenn die notwendigen Energien für das zusätzliche Familien- und Haushaltsmanagement auf das Wesentliche reduziert werden können.
Um den Bedarf an familienfreundlichen Maßnahmen möglichst differenziert und zielgenau zu erheben, haben sich in Unternehmen Mitarbeiterbefragungen bewährt. Als wichtige Module eines familienfreundlichen Krankenhauses sind neben der Unterstützung bei der Kinderbetreuung auch flexible Arbeitszeitmodelle, Wiedereinstiegshilfen für junge Mütter und Väter, Angebote zur Hausaufgabenbetreuung, Schulkinderferienbetreuung, Notgruppen bei Ausfall der sonstigen Kinderbetreuung, Mittagstisch, Bügelservice, Einkaufsservice sowie die Unterstützung bei der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger anzusehen. Die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben sollte selbstverständliches Thema des Personalmanagements sein, das heißt systematisch und umfassend berücksichtigt werden. Ebenso wie für andere Themen des Personalmanagements muss es Ansprechpersonen, Informationsmaterial, Beratungsmöglichkeiten sowie systematische Planungs- und Unterstützungsmaßnahmen geben. Gegebenenfalls sollten hierzu auch Fortbildungsmaßnahmen angeboten werden.

Literatur

1. Die Ärztin – Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes 2006; 53(2): 4–5.

2. Dobner P: Rechnerische Darstellung der Kosten-Nutzen-Gegenüberstellung am Beispiel der Unfallklinik Murnau auf Basis der Studie „Betriebswirtschaftliche Effekte familienförderlicher Maßnahmen“ der Prognos AG 2005.

3. Dettmer S, Kaczmarczyk G, Bühren A (Hrsg.): Karriereplanung für Ärztinnen. Heidelberg: Springer Medizin Verlag 2006.

4. Ärztestatistik zum 31. Dezember 2005 der Bundesärztekammer, www.bundesaerztekammer.de.

5. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung: Gutachten zum „Ausstieg aus der kurativen ärztlichen Berufstätigkeit in Deutschland“, Abschlussbericht Ramboll-Management GmbH, Hamburg 2004.

6. Gemeinnützige Hertie-Stiftung (Hrsg.): Mit Familie zum Unternehmenserfolg. Impulse für eine zukunftsfähige Personalpolitik. Köln: Wirtschaftsverlag Bachem GmbH 1998.

Anschrift für die Verfasserin
Dr. med. Astrid Bühren
Deutscher Ärztinnenbund
Herbert-Lewin-Platz 1
10623 Berlin
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