10 Punkte - Forderungskatalog

Der Deutsche Ärztinnenbund fordert zusätzlich zur Resolution des außerordentlichen Deutschen Ärztetages am 18. Februar 2003 in Berlin:

1. Der Staat muss den geänderten gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen.
Die durch hohe Arbeitslosigkeit, Arbeitsverdichtung, Vereinzelung in der Single-Gesellschaft, vermehrtes Auseinanderbrechen von Familien sowie Einsamkeit im Alter entstehenden Probleme müssen auf der sozialen und gesellschaftlichen Ebene gesehen und gelöst - und nicht oft erst als psychosomatischer Leidensdruck behandlungsbedürftig werden.

2. Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe der gesamten medizinischen Versorgung und aller gesetzlichen Bestimmungen im Gesundheitswesen.
Die sachgerechte Gesundheitsversorgung von Frauen und Männern muss auf geschlechtssensibel erstellten Leitlinien basieren. Das erfordert aber grundsätzlich die genderspezifische Konzeption und Auswertung von Studien und Forschungsvorhaben.
  • Zukünftig müssen die Unterschiede einer frauen- und männergerechten Prävention, Therapie und Rehabilitation beachtet werden. Für geriatrische Patientinnen und Patienten und für Kinder sollte endlich eine spezifische Pharmakotherapie etabliert werden.

  • Die geplante Aufteilung in Grund- und Wahlleistungen bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat so zu erfolgen, dass Frauen, die im Schnitt mehr unentgeltliche Familienarbeit leisten und weniger verdienen, keine Nachteile in Prävention, Diagnostik und Therapie erleiden.
3. Keine gesundheitspolitischen Entscheidungen mehr ohne Frauenkompetenz. Im Ausschuss Ärzte - Krankenkassen und in vielen anderen Beschlussgremien ist keine einzige Frau an den vielen patientinnenrelevanten Entscheidungen beteiligt, im Koordinierungsausschuss, der die Disease Management Programme (DMP) festlegt, lediglich eine.

4. Keine versicherungsfremden Leistungen über das Gesundheitswesen finanzieren.
Die Zahlungen von Mutterschaftsgeld und Sterbegeld sind gesamtgesellschaftliche und keine Krankenversicherungsleistungen.

5. Abbau der "unzumutbaren" Arbeitsbedingungen.
Minusrunden, extreme Arbeitszeiten und unausgegorene Fallpauschalen (DRG) führen in Kliniken und in vertragsärztlichen Praxen zum Stellenstopp oder zur Entlassung von ärztlichen und anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - und damit zu weiterer Arbeitsverdichtung und Flucht aus den ärztlichen und pflegerischen Berufen.

6. Die neue pauschalierte Entgeltform in den Krankenhäusern darf nicht zu Lasten der Frauen gehen.
Wenn Patientinnen und Patienten künftig frühzeitiger aus der Akutbehandlung entlassen werden, müssen mehr professionelle, besser verzahnte und ausreichende Nachsorgesysteme geschaffen werden - insbesondere auch für geriatrische alleinlebende Patientinnen und Patienten. Andernfalls werden die bisher völlig insuffizient ausgestalteten Fallpauschalen - DRGs - erheblich zu Lasten der überwiegend weiblichen pflegenden Familienangehörigen und deren Berufstätigkeit und Rente gehen.

7. Arbeitsplatznahe Kinderbetreuungsangebote und mehr Arbeitszeitmodelle.
Ärztinnen stellen bereits die Mehrheit der ausgebildeten Mediziner, aber für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Kindergärten und Horte mit dienstzeitkompatiblen Öffnungszeiten unerlässlich. Allerdings wird die Situation für Mütter und Väter durch Minusrunden mit Schließung betriebseigener Kinderbetreuungseinrichtungen immer problematischer. Viele teuer ausgebildete Ärztinnen werden weiterhin nicht berufstätig sein können oder noch mehr als bereits heute (ca. 35%) kinderlos bleiben. Zur Vermeidung eines patientengefährdenden Ärztinnen- und Ärztemangels sind familiengerechte Arbeits- und Rahmenbedingungen in Krankenhäusern schnellstens erforderlich! Die Patientinnen- und Patientenversorgung braucht die Kompetenz und Lebenserfahrung aller Ärztinnen.

8. Menschliche Zuwendung statt Papierkrieg.
Die notwendige informierte Entscheidung der Patientinnen und Patienten für Maßnahmen in der medizinischen Versorgung erfordert Zeit und Zuwendung durch qualifiziert fortgebildete Ärztinnen und Ärzte. Diese Leistung wird jedoch durch die überbordenden bürokratischen Anforderungen in Praxis und Klinik behindert.

9. Förderung sprechender, menschlich zugewandter und individualisierter Medizin
mit patientinnen- und patientengerechtem Zeit- und Finanzierungsrahmen. Nur so wird der ärztliche Beruf in bewährter Zusammenwirkung der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung den akut und chronisch kranken Menschen weiterhin gerecht und für die ärztlich Handelnden selbst ethisch vertretbar und attraktiv bleiben:
  • Zuwendung und ggf. Psychotherapie statt Medikalisierung natürlicher Lebensprozesse und psychischer Leiden.

  • Bedarfgerechte Weiterbildungskapazitäten u.a. für Kinder- und JugendpsychiaterInnen - da z.B. dieser Sektor präventiver und frühzeitiger Behandlungsmöglichkeiten extrem unterversorgt ist.
10. Prävention muß als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden.
Durch mangelnde Abstimmung der Bundes- und Ländergesetzgebung kommt es zu erheblichen Defiziten. Eine engere Verzahnung der Zuständigkeiten sollte zielführend erreichen:
  • Stärkung des Selbstvertrauens in den eigenen Körper und der Selbstverantwortung durch Kenntnisse und Unterstützung der natürlichen Heilungsprozesse.

  • Gesunde Ernährung und Bewegung bereits im Kindergarten und in der Schule unter Einbeziehung von Müttern und Vätern aktiv fördern. Gesundheitserziehung als Schulfach.

  • Mehr Wissen über Krebsvermeidung hätte den größten Effekt, parallel ist die Früherkennung bereits entstandener Carcinome zu optimieren, z.B. bei Brustkrebs.
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